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Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)

Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)

Titel: Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Kearsley
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fügte er hinzu: »Und du solltest auch nicht mehr so lang dableiben.« Dann bedankte er sich für den Kaffee und wandte sich zum Gehen.
    Obwohl sich der Nebel zu lichten begann, drang feuchte Seeluft herein, als Jimmy ins Freie trat.
    »Wissen Sie was?«, fragte ich Stuart. »Ich schlüpfe jetzt in meinen Mantel, und dann können Sie mir die Sehenswürdigkeiten in Cruden Bay zeigen.«
    Er sah zum Fenster hinaus. »Bei dem Wetter?«
    »Ja, warum nicht?«
    »Warum nicht, sagt sie.« Zögernd erhob er sich von seinem Stuhl. »Nun, sehr viel besser wird’s wahrscheinlich nicht um diese Jahreszeit.«
    Es tat gut, mir Wind und Gischt ins Gesicht wehen zu lassen. Obwohl der Pfad den Hügel hinunter rutschig war, verspürte ich jetzt die Unsicherheit vom Vorabend nicht mehr, und der Hafen, der nicht viel mehr als eine kleine, viereckige Fläche ruhigen Wassers hinter einem Schutzwall war, wirkte freundlich und einladend. Boote lagen keine vor Anker; die wenigen, die ich sehen konnte, hatten die Eigentümer an Land gezogen, vermutlich, weil im Winter ohnehin niemand fischen ging.
    Stuart führte mich am Cottage seines Vaters und denen seiner Nachbarn mit den grob verputzten Mauern und den tief herabreichenden Schieferdächern vorbei. Dann passierten wir die weiß gestrichene Fußgängerbrücke, die zu den hohen Dünen und zum Strand führte. Ich wäre gern hinübergegangen, doch Stuart hatte etwas anderes vor.
    Wir folgten der S-Kurve, wo die Harbour Street in die Main Street mit ihren Reihenhäusern und Läden und dem plätschernden Bach überging. Oben auf dem Hügel mündete diese in die große Straße, die ich in der vergangenen Woche genommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte mich der Anblick der Ruine so sehr gefesselt, dass mir wenig anderes aufgefallen war – das hübsche Gebäude am oberen Ende der Main Street zum Beispiel mit seinen roten Granitmauern, den weißen Mansardenfenstern und dem über zwei Stockwerke reichenden Erker, die dem Ganzen eine gewisse viktorianische Eleganz verliehen. Die Vordertür ging auf einen Rasen, der sich bis zum Bach erstreckte. Dieser wirkte hier deutlich ruhiger als weiter unten.
    »Das da«, erläuterte Stuart mit großer Geste, »ist das ›Killie‹ – das Kilmarnock Arms Hotel. Dort bezog Ihr Freund Bram Stoker bei seinem ersten Aufenthalt in Cruden Bay Quartier, bevor er nach Finnyfall am südlichen Ende der Bucht wechselte.«
    »Wohin?«
    »Nach Finnyfall. Man schreibt’s ›Whinnyfold‹, aber alle sprechen den Namen im Doric-Dialekt aus. Es ist kein gro-ßer Ort; er besteht lediglich aus ein paar Cottages.«
    Ob Bram Stoker sich in einem Cottage wohlgefühlt hatte? Das Kilmarnock Arms hätte deutlich besser zu ihm gepasst. Ich konnte mir gut vorstellen, wie der Autor der weltberühmten Vampirgeschichte hinter einem der Mansardenfenster vom Schreibtisch aus auf die sturmumtoste Küste blickte.
    »Wenn Sie möchten, gehen wir rein«, sagte Stuart. »Das Hotel hat eine Bar, und da gibt’s einen ordentlichen Mittagstisch.«
    Das musste er mir nicht zweimal sagen. Ich erkundete gern Orte, an denen andere Schriftsteller vor mir gewesen waren. Mein Londoner Lieblingshotel zum Beispiel hatte schon Graham Greene besucht; im Frühstückssaal sicherte ich mir jedes Mal seinen früheren Stuhl, weil ich hoffte, dass so ein wenig von seinem Genie auf mich abfärben würde. Ein Mittagessen im Kilmarnock Arms gäbe mir Gelegenheit, Kontakt mit dem Geist von Bram Stoker aufzunehmen.
    »Mit Vergnügen«, sagte ich.
    In der Bar standen rote, von runden Messinglampen flankierte Polsterbänke sowie dunkle Stühle und -tische auf tiefblauem Teppich. Die Holzvertäfelungen waren weiß gestrichen und alle Wände bis auf die Steinmauer am hinteren Ende mit einer dezent gemusterten gelben Tapete versehen, so dass der Raum freundlich und hell wirkte. Kein Ort für Vampire.
    Ich bestellte Suppe, Salat und ein Glas trockenen Weißwein, Stuart ein Pint. Er lehnte sich in die roten Lederpolster der Sitzbank zurück. Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, wie attraktiv er war mit seinem fast schwarzen Haar, von dem ihm eine Locke in die Stirn fiel, und den blauen Augen, die beim Lachen zu leuchten begannen. Obwohl er, abgesehen von der Augenfarbe, keine Ähnlichkeit mit seinem Vater Jimmy hatte, kamen mir seine Gesichtszüge irgendwie bekannt vor.
    »Warum runzeln Sie die Stirn?«, fragte er.
    »Was? Ach, ich hab nur so vor mich hin gedacht«, antwortete ich. »Berufskrankheit, wissen

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