Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
den Hartgräsern, die nahe beim Meer wuchsen, keinerlei Vegetation aufzuweisen. Möglicherweise war die salzige Luft daran schuld.
Regen peitschte gegen die Scheibe. Eine Weile konnte sie überhaupt nichts erkennen, dann drückte der Wind das Wasser in schmalen Rinnsalen seitlich weg, so dass sie wieder etwas sah.
Der Anblick, der sich ihr bot, war unerwartet und atemberaubend. Vor ihr erstreckte sich das Meer, sonst nichts. Sophia hätte sich gut und gerne auf einem Schiff befinden können, auf offener See, nichts über ihr als der graue Himmel und nichts unter ihr als die vom Sturm aufgewühlten grauen Wellen, die sich bis zum grauen Horizont erstreckten. Die Countess of Erroll hatte am Vorabend beim Essen gesagt, dass sich die Mauern von Slains Castle an manchen Stellen sehr nahe an den Klippen erhoben, doch sie schienen direkt aus dem Felsen emporzuragen. Unter ihr gab es offenbar nur eine steil abfallende Steinmauer und einen Abgrund vor dem tosenden Wasser.
Als der Sturm erneut eine Fontäne gegen ihr Fenster schleuderte, drehte sie sich um, ging zu dem kleinen Kamin und nahm ihr bestes Gewand von der Kleiderpresse, um sich ein wenig herauszuputzen. Es hatte ihrer Mutter gehört und war längst nicht so modisch wie das der Countess vom Vorabend, aber das Blau schmeichelte ihr, und mit hübsch gekämmten und hochgesteckten Haaren fühlte sie sich dem, was sie erwartete, gewachsen.
Sie hatte ihren Platz in diesem Haus noch nicht gefunden. Der Countess schien es zu genügen, wenn sie ihre Gäste versorgen und bewirten konnte, weswegen Sophia hoffte, hier tatsächlich das glückliche Zuhause zu haben, nach dem sie sich so sehr sehnte, doch aus Erfahrung wusste sie, dass man dem äußeren Schein nicht immer trauen durfte.
Sie atmete tief durch, straffte die Schultern, strich das Kleid glatt und ging nach unten. Es war früh am Tag, außer ihr war offenbar noch niemand auf den Beinen. In dem riesigen Haus hatte sie sich schon bald verlaufen. Vermutlich wäre sie ewig so herumgeirrt, hätte sie nicht von einem der Flure Stimmen und ein Scheppern, wahrscheinlich von einem Kessel, sowie fröhliches Singen gehört. Sie folgte diesen Geräuschen, die zweifelsohne aus der Küche kamen. Durch die Tür, die sich öffnete, als sie dagegendrückte, drangen ihr angenehme Gerüche entgegen.
Es handelte sich um eine geräumige, sehr saubere Küche mit großer Feuerstelle, Steinfußboden und langem Tisch, an dem ein junger Mann in derber Kleidung saß, eine Pfeife zwischen den Lippen, den Stuhl zurückgekippt, die mit Stiefeln bekleideten Füße an den Knöcheln übereinandergeschlagen. Er bemerkte Sophia nicht, weil er nur Augen für die junge Frau hatte, die vor sich hin summend saubere Teller auf ein Tablett stellte.
An der Feuerstelle rührte eine Frau mittleren Alters mit dem Rücken zu ihnen in einem offenen Kessel, in dem sich, dem Duft nach zu urteilen, Gerste befand. Sophias Magen begann zu knurren, und sie versuchte das Geräusch hastig mit einem »Guten Morgen« zu übertönen.
Das Summen verstummte, die beiden vorderen Beine des Stuhls, auf dem der junge Mann saß, landeten auf dem Boden, und alle drei wandten sich Sophia mit erstauntem Blick zu.
Die junge Frau räusperte sich. »Guten Morgen, Mistress. Brauchen Sie etwas?«
»Ist das Brühe?«
»Aye. Aber zum Frühstück in einer halben Stunde im Speisesaal gibt’s was anderes.«
»Könnte ich trotzdem einen Teller davon haben – bitte?«
Das Erstaunen der jungen Frau wuchs. Sophia suchte nach Worten, um ihr zu erklären, dass sie immer ein einfaches Leben geführt hatte. Sie war nie arm im engeren Sinne gewesen, aber auch nicht viel besser gestellt als die Bediensteten, und so hatte diese saubere Küche mit der angenehmen Atmosphäre etwas Heimeliges.
Die ältere Frau, die die ganze Zeit über geschwiegen hatte, musterte Sophia von oben bis unten und sagte dann: »Setzen Sie sich doch, Mistress. Rory, beweg deinen breiten Hintern weg und mach Platz für die Dame.«
»Bitte nicht«, widersprach Sophia sofort. »Ich wollte nicht …«
Doch Rory erhob sich ohne Widerrede und ohne dass sein Gesichtsausdruck verriet, was er von dieser Störung hielt. »Wird Zeit, dass ich mich wieder an die Arbeit mache«, sagte er nur und verließ den Raum. Sophia hörte, wie die Tür hinter ihm zuschwang, und spürte einen kalten Lufthauch hereinwehen.
»Ich wollte ihn nicht vertreiben«, sagte Sophia.
»Das hat nichts mit Ihnen zu tun«, erklärte die Frau mit
Weitere Kostenlose Bücher