Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Ungestrichene Eisenstäbe versperren die nach hinten hinausführenden Fenster im ersten Stock, und zwei der vier Fahrzeuge auf dem Parkplatz sind Streifenwagen mit paarweise angeordneten Blinkleuchten auf dem Dach und den Buchstaben FLPD auf den Türen. Das Vorhandensein von Streifenwagen und vergitterten Fenstern wirkt in diesem Hort ländlichen Friedens fehl am Platz – welche Art Verbrechen könnte es hier wohl geben? Bestimmt nichts Ernstliches; sicher nichts Schlimmeres als ein paar Ladendiebstähle, Trunkenheit am Steuer und gelegentlich eine Schlägerei in einer Bar.
Wie um die Friedlichkeit und Rechtschaffenheit des Kleinstadtlebens zu bezeugen, rollt ein roter Lieferwagen mit der Aufschrift LA RIVIERE HERALD an den Seiten langsam die Third Street entlang und hält an fast allen Briefkastensäulen, damit der Zusteller die in einer blauen Plastikhülle steckenden Tageszeitung in die grauen Metallzylinder mit derselben Aufschrift stecken kann. Als der Lieferwagen in die Sumner Street abbiegt, wo die Häuser Einwurfschlitze statt Briefkasten aufweisen, wirft der Zusteller die verpackten Zeitungen einfach gegen die Haustüren. Blaue Pakete klatschen an die Türen der Polizeistation, des Bestattungsunternehmens und des Bürogebäudes. Das Postamt bekommt keine Zeitung.
Sieh da, hinter den zur Straße hinausführenden Fenstern im Erdgeschoss der Polizeistation brennt doch Licht. Die Tür öffnet sich. Ein großer, dunkelhaariger junger Mann, der ein
blassblaues Uniformhemd, ein Lederkoppel mit Schulterriemen und eine marineblaue Hose trägt, tritt ins Freie. Das breite Koppel und die goldfarbene Plakette an Bobby Dulacs Brust glänzen in der Morgensonne, und alles, was er trägt, auch die 9-mm-Pistole an seiner Hüfte, scheint ebenso fabrikneu zu sein wie Bobby Dulac selbst. Er beobachtet, wie der rote Lieferwagen nach links auf die Second Street abbiegt, und betrachtet stirnrunzelnd die zusammengerollte Zeitung. Er stößt sie mit der Kappe des schwarzen, auf Hochglanz polierten Schuhs an und beugt sich eben weit genug nach vorn, um vermuten zu lassen, dass er die Schlagzeilen durch die Plastikhülle hindurch lesen will. Aber diese Methode scheint nicht allzu gut zu funktionieren. Bobby bückt sich, noch immer düster dreinblickend, ganz hinunter und hebt die Zeitung unvermutet sanft auf, so wie eine Katzenmutter ihr Junges aufnimmt, das sich vorwitzig von ihr entfernt hat. Er hält sie ein kleines Stück von sich weg, sieht mit raschem Blick die Sumner Street hinauf und hinunter, macht zackig kehrt und geht in die Polizeistation zurück. Wir, die wir in unserer Neugier stetig tiefer geschwebt sind, um das von Officer Dulac gebotene Schauspiel genauer zu beobachten, folgen ihm hinein.
Der graue Korridor führt an einer unbeschrifteten Tür und einem schwarzen Brett, an dem nur wenig befestigt ist, vorbei zu zwei Stahltreppen, von denen eine zu einem kleinen Umkleideraum, Duschkabinen und einem Schießstand hinunterführt, während die andere zu einem Vernehmungsraum und zwei Reihen gegenüberliegender Zellen hinaufführt, von denen im Augenblick allerdings keine belegt ist. Irgendwo in der Nähe läuft im Radio eine Talkshow mit einer Lautstärke, die für einen friedlichen Morgen zu hoch erscheint.
Bobby Dulac öffnet die unbeschriftete Tür und betritt – mit uns auf seinen glänzend polierten Fersen – den Bereitschaftsraum, den er kurz zuvor verlassen hatte. Rechts an der Wand stehen eine Reihe von Aktenschränken und daneben ein zerschrammter Holztisch mit ordentlich aufgeschichteten Aktenstapeln und einem Transistorradio, der Quelle des misstönenden Lärms. In dem nahe gelegenen Studio von KDCU-AM, »Die Stimme von Coulee Country«, ist der unterhaltsame Querulant
George Rathbun mit seiner beliebten Morgensendung Fragen über Fragen in Fahrt gekommen. Der gute alte George klingt ein bisschen zu laut; unabhängig davon, wie weit man die Lautstärke zurückdreht, ist der Kerl einfach ein unverbesserlicher Krakeeler – was aber sein Markenzeichen ist.
In die Mitte der uns gegenüberliegenden Wand ist eine geschlossene Tür mit einer dunklen Milchglasscheibe eingelassen, auf der DALE GILBERTSON, CHIEF OF POLICE steht. Dale wird erst in ungefähr einer halben Stunde zum Dienst kommen.
Links in der Ecke stehen zwei Metallschreibtische in rechtem Winkel zueinander, und hinter dem uns zugewandten betrachtet Tom Lund – ein blonder Polizeibeamter, der etwa so alt wie sein Partner ist, aber nicht wie
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