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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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Riesenrad sich doch nicht drehte. Ein Kreis aus stillstehenden Lichtern hing über leeren Gondeln. Sekundenlang erschien ihm die riesige Maschine wie ein außerirdischer Eindringling, der clever getarnt den rechten Augenblick abwartete, bis er den größtmöglichen Schaden anrichten konnte. Jack konnte ihn beinahe vor sich hin schnurren hören. Klar,
dachte er, ein bösartiges Riesenrad – reiß dich zusammen. Du bist mehr durcheinander, als du dir eingestehen willst. Dann betrachtete er wieder die Szene vor sich und begriff endlich, dass seine Fantasievorstellung von der Pier eine böse Realität verborgen hatte, die ihm aus seinem Berufsleben nur allzu vertraut war. Er war ins Anfangsstadium von Mordermittlungen hineingestolpert.
    Einige der hellen Lichter, die er gesehen hatte, blinkten nicht vom Riesenrad, sondern auf den Dächern von Streifenwagen aus Santa Monica. Draußen auf der Pier hinderten vier uniformierte Beamten eine neugierige Menge daran, in den mit Tatort-Absperrband gezogenen Kreis um ein hell beleuchtetes Karussell einzudringen. Jack ermahnte sich, die Finger von dieser Sache zu lassen. Er hatte hier keine Funktion. Außerdem erweckte das Karussell in ihm irgendein nebulöses, unklares Gefühl, ein ganzes Bündel unwillkommener Empfindungen. Das Karussell war unheimlicher als das still stehende Riesenrad. Vor Karussells hatte er sich schon immer gegruselt, war doch so, oder? Zur Bewegungslosigkeit erstarrte Zwergpferde mit gebleckten Zähnen und durch ihren Leib gerammten Stahlpflöcken – sadistischer Kitsch.
    Geh weiter, sagte Jack sich. Deine Freundin hat dir den Laufpass gegeben, und du bist in miserabler Stimmung.
    Und was Karussells betrifft …
    Der abrupte Fall eines eisernen Vorhangs beendete die Debatte über Karussells. Jack trat wie von einem inneren Zwang getrieben auf die Pier und schlängelte sich durch die Menge. Er war sich halb bewusst, dass er sich unprofessioneller verhielt als je zuvor in seiner Laufbahn.
    Als er schließlich in der ersten Reihe der Menge angelangt war, bückte er sich unter dem Absperrband hindurch und zeigte einem Cop mit Milchgesicht, der ihn zurückbeordern wollte, kurz seine Plakette. Irgendwo in der Nähe begann ein Gitarrist einen Blues zu spielen, den Jack halbwegs erkannte; der Titel schwamm kurz an die Oberfläche seines Bewusstseins, um dann wieder wegzutauchen. Der Bubi-Cop musterte ihn erstaunt und entfernte sich dann, um einen der Kriminalbeamten zu befragen, die über etwas Längliches gebeugt standen,
das Jack sich vorerst noch nicht näher ansehen wollte. Die Musik irritierte ihn. Sie irritierte ihn sehr. Tatsächlich nervte sie ihn sogar verdammt. Seine Gereiztheit stand in keinem Verhältnis zu ihrer Ursache, aber was für ein Idiot glaubte, Morde bräuchten einen Soundtrack?
    Ein bemaltes Pferd, im grellen Licht erstarrt, bäumte sich auf.
    Jacks Magen verkrampfte sich, und tief in seiner Brust regte sich etwas Wildes und Beharrliches, das unter keinen Umständen benannt werden durfte, und breitete seine Arme aus. Beziehungsweise breitete seine Schwingen aus. Dieses schreckliche Etwas wollte ausbrechen und wahrgenommen werden. Jack fürchtete kurz, sich übergeben zu müssen. Das Nachlassen dieses Gefühls bescherte ihm einen Augenblick unbehaglicher Klarheit.
    Er hatte sich freiwillig, gedankenlos, in eine Verrücktheit begeben, und nun war er verrückt. Anders konnte man’s nicht ausdrücken. Mit einem Gesichtsausdruck, der eine gelungene Mischung aus Ungläubigkeit und Zorn war, kam ein Kriminalbeamter namens Angelo Leone heran – bis zu seinem zweckdienlichen Verschwinden nach Santa Monica ein Kollege Jacks, der sich durch seine ordinäre Triebhaftigkeit, seine Vorliebe für Gewalt und Korruption, seine Verachtung für Zivilisten unabhängig von Farbe, Rasse, Glaubensbekenntnis oder sozialer Stellung und, das muss fairerweise gesagt werden, seine Furchtlosigkeit und äußerste Loyalität gegenüber allen Polizeibeamten auszeichnete, die sich ans bewährte Programm hielten und wie er handelten, indem sie alles taten, womit sie ungestraft davonkommen konnten. Angelo Leones Verachtung für Jack Sawyer, der sich eben nicht ans Programm hielt, war so stark wie sein Neid auf den Erfolg des Jüngeren gewesen. In wenigen Sekunden würde dieser brutale Höhlenmensch sich mit ihm anlegen. Statt zu versuchen, eine Erklärung zu finden, die den Höhlenmenschen zufrieden stellen würde, war er von Karussells und Gitarren besessen, kümmerte

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