Das Schweigen der Laemmer
Feinschmeckermagazinen beigetragen hatte.
Die Vorsitzende der Philharmoniker wurde später wegen An-orexie und Problemen in Zusammenhang mit Alkoholabhängig-keit in einem holistischen Nervensanatorium in Basel behandelt.
Der Polizei von Baltimore zufolge war Raspail Lecters neuntes bekanntes Opfer.
Raspail starb ohne Hinterlassung eines Testaments, und die Prozesse unter seinen Verwandten über den Nachlaß wurden mehrere Monate lang von den Zeitungen verfolgt, bis das öffentliche Interesse nachließ.
Rapails Verwandte hatten sich außerdem mit den Familien an- derer Opfer in Lecters Praxis in einem erfolgreichen Prozeß zu-sammengetan, um die Akten mit den Krankengeschichten und Tonbandaufnahmen des auf Abwege geratenen Psychiaters vernichtet zu sehen. Man könnte nicht wissen, was für peinliche Ge-heimnisse er vielleicht ausplauderte, lauteten ihre Argumente, und die Akten wurden dokumentarische Belege.
Das Gericht hatte Raspails Rechtsanwalt Everett Yow zum Nachlaßverwalter bestellt.
Sterling würde sich an den Rechtsanwalt wenden müssen, um an den Wagen zu kommen. Der Rechtsanwalt könnte Raspails Andenken schützen und bei ausreichender Vorankündigung Beweismaterial vernichten, um seinen verstorbenen Klienten zu decken.
Starling zog es vor, zuzuschlagen, und sie benötigte Rat und Be-fugnis. Sie war allein in der Abteilung für Verhaltensforschung und hatte überall freien Zutritt. Sie fand Crawfords Privatnummer im Rolodex.
Sie hörte kein Telefonklingeln, doch plötzlich war seine Stimme da, sehr ruhig und gelassen.
»Jack Crawford.«
»Hier spricht Clarice Starling. Hoffentlich waren Sie nicht gerade beim Abendessen...« Sie mußte in Schweigen hinein fort-fahren. ».. .Lecter hat mir heute etwas über den Fall Raspail gesagt, ich bin im Büro und gehe dem nach. Er teilt mir mit, es sei etwas in Raspails Wagen. Ich müßte über seinen Rechtsanwalt dran-kommen, und da morgen Samstag ist - kein Unterricht -, wollte ich Sie fragen, ob -«
»Starling, erinnern Sie sich eigentlich daran, was ich Ihnen aufgetragen habe, mit den Informationen über Lecter zu machen?«
Crawfords Stimme war so schrecklich ruhig.
»Ihnen Sonntag Punkt 9:00 Uhr einen Bericht zu liefern.«
»Tun Sie das, Starling. Tun Sie genau das.«
»Jawohl, Sir.«
Das Wählzeichen tat ihr im Ohr weh. Der Schmerz zog sich über ihr Gesicht und ließ ihre Augen brennen.
»O gottverdammte Scheiße«, sagte sie. »Du alter Widerling. Wi-derlicher Hurensohn. Soll Miggs doch dich anspritzen, und sieh zu, wie dir das gefällt.« Starling, blankgeschrubbt und mit ihrem FBI-Akademie -Nacht-hemd bekleidet, arbeitete gerade am zweiten Entwurf ihres Berichts, als ihre Zimmergenossin im Wohnheim, Ardelia Mapp, aus der Bücherei kam. Mapps breites, braunes, überaus vernünftiges Gesicht war einer der willkommeneren Anblicke ihres Tages, Ardelia Mapp sah die Erschöpfung in ihrem Gesicht.
»Was hast du heute gemacht, Mädchen?« Mapp stellte Fragen stets so, als ob die Antworten unmöglich einen Unterschied machen konnten.
»Einem verrückten Mann geschmeichelt, den es überkam,«
»Wenn ich bloß Zeit für ein geselliges Leben hätte - ich weiß nicht, wie du das schaffst, und auch noch die Schule.«
Starling ertappte sich beim Lachen. Ardelia Mapp lachte mit ihr, soviel es der kleine Witz wert war. Starling hörte nicht auf, und sie hörte sich von weit weg, weiterlachend, immer weiterlachend.
Durch Starlings Tränen sah Mapp sonderbar alt aus, und in ihrem Lächeln lag Traurigkeit.
5. Kapitel
Jack Crawford, dreiundfünfzig, las in einem Ohrensessel bei einer niedrigen Lampe im Schlafzimmer seines Hauses. Er saß zwei Doppelbetten gegenüber, beide auf Blöcken zu Krankenhaushöhe erhöht. Ein Bett war sein eigenes; in dem anderen lag seine Frau Bella. Crawford konnte sie durch den Mund atmen hören. Es war zwei Tage her, seit sie sich zum letztenmal hatte rühren oder etwas zu ihm sagen können.
Sie setzte einen Atemzug aus. Über seine Halbbrille blickte Crawford von seinem Buch hoch. Er legte das Buch hin. Bella atmete wieder, ein Flattern und dann ein voller Atemzug. Er stand auf, um seine Hand auf ihre zu legen, um ihren Blutdruck und ihren Puls zu messen. Über die Monate hinweg war er ein Fach-mann im Umgang mit der Blutdruckmanschette geworden.
Da er sie nachts nicht allein lassen wollte, hatte er neben ihr ein Bett für sich aufgestellt. Und da er im Dunkeln nach ihrer Hand greifen wollte, mußte sein Bett so hoch wie
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