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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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Mann und ein Kind verloren.«
    Herr Oldak erstarrte auf seinem Stuhl, sein Blick hob sich zu einem Foto, das an der Wand hing. »Ein Kind zu verlieren, das erklärt viel.«
    Auch ich betrachtete nun den etwa achtzehnjährigen, fröhlich lächelnden Jungen auf dem Foto.
    »Deine Mutter habe ich ein paar Mal gesehen, bei Elternabenden im Gymnasium«, sagte er. Ich spürte, dass er sich dieser schwierigen Frau auf einmal nah fühlte. »Man hat mir gesagt, sie sei es, aber aus irgendeinem Grund habe ich nie mit ihr gesprochen. Ein paar Jahre später, da warst du schon mit der Schule fertig, habe ich sie auf dem Friedhof Kiriat Scha’ul gesehen, zwischen dem Bereich für das Militär und dem für Zivilisten.«
    Kiriat Scha’ul   – ich hatte einen neuen Hinweis bekommen.
    »Ich wollte zu ihr gehen, sie nach deinem Vater und auch nach dir fragen. Doch dann war sie plötzlich verschwunden und ich stand vor einem Grabstein.«
    Ich richtete mich auf.
    »Ich stand vor dem Grabstein deines Vaters.«
    Mein Herz klopfte.
    Ich wusste, wohin ich von hier aus gehen würde. Ich fühlte, dass ich es musste.
    Ich verabschiedete mich schnell und war schon auf dem Weg hinaus. Chajale räumte den Tisch ab. »Weißt du, warum ihre Mutter ihn in Kiriat Scha’ul beerdigen ließ?«, fragte sie Herrn Oldak und gab sofort selbst die Antwort: »Weil wir auf dem Friedhof von Nachlat Jizchak Verstecken und Fangen gespielt haben, und ihre Mutter wollte nicht, dass es für sie zu einem Problem würde, dort mit allen anderen Kindern zu spielen.«
    Ich lehnte mich an die Wand.
    »Hast du gewusst, dass meine Mutter ihn in Kiriat Scha’ul begraben ließ?«, fragte ich.
    »Natürlich«, sagte sie. »Alle haben es gewusst.«
     
    Der Himmel war wolkenlos, ein leichter Wind war aufgekommen, in der Trauerhalle am Friedhofseingang wurden die nächsten Beerdigungen angekündigt. Ich betrat das Büro. Ein junger, dünner Angestellter mit Schläfenlocken und einer schwarzen Kippa empfing mich mit ernster Miene.
    An einem solchen Ort macht man eben ein trauriges Gesicht, sagte ich mir und bemühte mich um einen sachlichen Ton. »Ich wüsste gern, wo Jakob Roża beerdigt ist.«
     
    Block 7   – Bereich 4   – Reihe 8   – Grab 8
     
    »Einer von den Veteranen«, sagte er anerkennend. »Er liegt neben dem alten Podest für Trauerreden. Seither ist der Friedhof gewachsen.« Der Kaddischnik war sichtlich stolz auf seinblühendes Gewerbe. »Früher war das der schönste Teil, früher stand dort eine Pinie und die Gräber waren mit Blumen bedeckt«, beschrieb er schwärmerisch dieses Wohnviertel der Ewigkeit.
    Ich hatte es eilig, zum Block-Bereich-Reihe-Grab zu kommen.
    Bei den Veteranen, neben dem alten Podest für Trauerreden, war keine Spur von Blumen zu sehen, die Pinie war umgestürzt. Darunter schauten die Bruchstücke eines zerschmetterten Grabsteins hervor.
    Ein Stein, es ist doch nur ein Stein, versuchte ich mich beim Anblick dieser Bruchstücke zu beruhigen.
    Im Hintergrund hörte ich, wie das Kaddisch für einen anderen Toten gebetet wurde.
    Ich werde den zerbrochenen Stein reparieren, ich werde ihn Stück für Stück wieder zusammenfügen.
     
    Auf dem Weg zum Parkplatz betrat ich die Jerucham-Grabsteine GmbH.
    »Rekonstruieren Sie ihn«, bat ich. »Rekonstruieren Sie genau das, was war, rekonstruieren Sie den Grabstein, den meine Mutter vor über fünfundvierzig Jahren aufstellen ließ.«
    »Aber heute gibt es viel besseren Marmor, meine Dame«, sagte er und bot mir eine Auswahl an: »Wir haben italienischen Marmor, Granit und Marmor aus Hebron.«
    »Es liegen dort Steinbrocken«, sagte ich. »Ich möchte, dass Sie sie einsammeln und wieder zusammenfügen.«
    »Und wenn Lücken bleiben? Wenn Teile fehlen?«, wendete er ein.
    Ich lächelte. »Dann soll es so sein.«
    »Geben Sie mir zwei Tage«, antwortete er unzufrieden.
    Ich hinterließ meine Personalien und ging.
    Die Augen meiner Mutter begleiteten mich auf meinem Weg. Sie war mit mir, anverbunden meinem Herzen.
     
    Chajale rief gegen Abend an.
    »Nun?«
    »Was nun?«
    »Ich weiß doch, wo du warst. Mir machst du nichts vor, ich weiß doch, wie du tickst. Vergiss nicht, dass wir gemeinsam Buchenwald-
kichl
gegessen haben.« Sie war offenkundig in Plauderstimmung.
    »Der Grabstein ist ganz zerbrochen«, informierte ich sie kurz angebunden.
    Unausgesprochen standen die Schildkröten zwischen uns.
    Chajale hatte Stille noch nie ertragen können, sie stürzte sich in Renovierungspläne und

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