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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Sinikka auf dem Tisch hatte eine Schüssel mit
    Milch und Haferflocken gestanden.
    Nurmela hatte nach Worten gesucht. Die anderen
    hatten geschwiegen.
    »Sinikka ... ist wieder da«, hatte Kalevi Vehkasalo
    schließlich gesagt.
    Ruth Vehkasalo hatte lautlos geweint.
    »Im Wald«, hatte Sinikka geantwortet, als Nurmela
    sie gefragt hatte, wo sie die vergangenen Tage verbracht
    habe.
    In dem Wald, durch den sie jetzt liefen.
    »Sind wir bald da?« fragte Nurmela zum wiederholten
    Male. Sinikka nickte und lief weiter und weiter, bis
    Joentaa sich vorstellte, nie anzukommen, und dann
    blieb Sinikka doch noch stehen und schien sich darüber
    zu wundern, dass sich ihre Begleiter wunderten.
    Sie deutete nach oben. Nurmela atmete aus, wie nach
    einer großen Anstrengung. Sundström begann nach
    Sekunden der Verblüffung, leise zu kichern.
    Sie standen eine Weile, reckten die Hälse und be-
    trachteten das Baumhaus unter dem klaren Himmel.
    »Das habe nicht ich gebaut«, sagte Sinikka. »Ich habe
    es nur gefunden. Letzten Sommer.«
    »So«, sagte Nurmela.
    »Ich wusste gleich, dass ich es so machen würde. Hier
    kommt nie jemand vorbei.«
    »Kann ich mir denken«, sagte Nurmela.
    »Irre«, sagte Sundström.
    Sinikka kletterte nach oben. Nurmela nahm
    Schwung, rutschte ab und stürzte zu Boden.
    »Das ist nichts für mich«, murmelte er, während er
    sein Jackett richtete.
    »Wem sagst du das«, sagte Sundström.
    Auch Joentaa brauchte einige Anläufe, um sich in das
    Baumhaus zu hieven. Dann saß er neben Sinikka. Ihm
    war schwindlig. Die Dinge, die Sinikka ihm zeigte, sah
    er wie durch einen Schleier. Eine Tüte mit Vorräten.
    Vorwiegend Dosen. Ein kleines, rechteckiges Radio.
    »Der Empfang war ziemlich gut«, sagte sie, während
    er das Radio anstarrte.
    Das Haus wirkte stabil und bot überraschend viel
    Platz. Sinikkas linke Hand war mit dicken Pflastern
    bandagiert.
    »Die Wunden ... hast du dir selbst zugefügt?« fragte
    Joentaa.
    Sinikka nickte. »Das Blut war doch wichtig, oder?«
    »Vermutlich ja«, antwortete Joentaa und dachte an
    das, was Ketola gesagt hatte. Eine alberne Idee. Die
    albernste, die man sich vorstellen konnte.
    »Hast du wirklich gedacht, dass das hier ... dass es
    funktionieren würde?«
    Sie sah ihn lange an. Dann zuckte sie mit den Achseln
    und sagte: »Keine Ahnung.«
    »Wie lange wärst du denn hier geblieben? Wenn es
    nicht ... wenn dein Plan nicht funktioniert hätte ...«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Möglichst lange.«
    »Was ich nicht verstehe ... du musst doch überlegt
    haben ... wegen deiner Eltern ... und natürlich auch dei-
    nen Freunden und Freundinnen ... du musst doch
    überlegt haben, wie sie reagieren würden ...«
    Wieder sah sie ihn lange an.
    »Alles klar bei euch?« rief Sundström von unten.
    Joentaa beugte sich vor und sah die beiden nebenei-
    nander am Boden stehen. Nurmela hielt sich den Arm
    und stieß leise Flüche aus. Vermutlich hatte er sich bei
    seinem Sturz vom Baum wehgetan.
    »Wir kommen gleich runter«, rief Joentaa.
    Er bekam von Sinikka keine Antwort mehr auf seine
    Frage. Vermutlich gab es keine. Zumindest keine, die er
    verstanden hätte.
    Sie gingen den Weg zurück, den sie gekommen
    waren. Dieses Mal liefen Nurmela und Sundström voran,
    Nurmela redete auf Sundström ein, plante die nächsten
    Stunden dieses Tages. Er hielt den Arm im rechten Win-
    kel, als sei er gebrochen, und sprach ununterbrochen,
    allerdings ruhig und beherrscht. Man konnte Nurmela
    mögen oder nicht, er konnte pathetisch sein, wie auch
    jetzt, mit dem Arm, aber niemand durfte ihm vorwerfen,
    in schwierigen Situationen nicht kühlen Kopf zu be-
    wahren.
    Sinikka ging neben Kimmo und hörte den beiden vor
    ihnen laufenden Männern aufmerksam zu. Joentaa
    hatte den Eindruck, dass ihr erst jetzt, in den Minuten, in denen sie Nurmela und Sundström angeregt diskutieren
    hörte, eine Ahnung von der Tragweite ihres Handelns
    dämmerte.
    Sie fuhren schweigend. Nurmela kritzelte Notizen in
    ein kleines Buch und wies beiläufig daraufhin, dass sein
    Arm nur verstaucht sei, für den Fall, dass sie sich Sorgen machten.
    »Keine Angst, wir machen uns keine Sorgen«, sagte
    Sundström.
    Vor dem hellgrünen Haus wartete Ruth Vehkasalo
    auf die Rückkehr ihrer Tochter.

    5

    Nurmela bewältigte die Notwendigkeiten des Tages
    souverän und beängstigend effizient.
    Er führte ein Gespräch mit Sinikkas Eltern, in dem er sie dafür sensibilisierte, dass es nicht vorbei war.
    Er teilte ihnen

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