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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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halben
    Stunde da, und dann reden wir.«
    »Wo bist du denn? Hallo?«
    »Bis gleich«, sagte Joentaa und unterbrach die Ver-
    bindung. Er erhob sich mühsam.
    »Sundström?« fragte Ketola.
    Kimmo nickte. »Wir wollten nach Helsinki fahren.
    Also ... bis später.«
    »Bis später«, sagte Ketola.
    Joentaa lief über den Rasen, der seine Schritte
    schluckte, und fühlte sich schwerelos. Während er fuhr,
    dachte er vage darüber nach, was er Sundström erzäh-
    len sollte. Vermutlich gar nichts. Er würde ihm sagen,
    dass er erst mal ein, zwei Stunden schlafen werde. Dann
    würde man weiter sehen.
    Er fuhr einen Umweg.
    Über dem hellgrünen Haus lag Stille.
    Er wusste nicht, was er ihnen sagen würde. Er wuss-
    te nur, dass er mit Sinikkas Eltern sprechen musste.
    Sofort.
    Er wollte gerade aussteigen, als er im Rückspiegel das
    Mädchen sah. In einiger Entfernung. Sie lief sehr lang-
    sam, aber unangestrengt, fast beschwingt, hielt den
    Kopf gesenkt und schien sich darauf zu konzentrieren,
    die eigenen Schritte zu zählen.
    Sie kam näher. Jetzt erkannte Joentaa den Rucksack
    über ihrer Schulter und den Schlafsack und die Matte
    unter dem Arm. Für einen Moment wunderte er sich,
    dass den Eltern das Verschwinden dieser Gegenstände
    nicht aufgefallen war. Aber wenn er Sinikka richtig ein-
    schätzte, hatte sie die Sachen neu gekauft und frühzeitig
    gut versteckt.
    Sie war gut vorbereitet gewesen auf dieses ... Aben-
    teuer.
    Vor dem hellgrünen Haus blieb sie stehen. Nach einer
    Weile setzte sie sich auf die erste Stufe der Treppe, die
    zur Eingangstür führte.
    Sie schien zu warten. Auf das Erwachen ihrer Eltern.
    Oder auf den Impuls, die Klingel zu drücken. Oder auf
    etwas ganz anderes.
    Auch Joentaa wartete noch eine Weile, dann wendete
    er den Wagen und fuhr einem Tag entgegen, der so
    sommerlich zu werden versprach wie die zuletzt ver-
    gangenen.

    2

    Ruth Vehkasalo lag wach. Auch Kalevi war erst am
    Morgen eingeschlafen. Sein Gesicht wirkte entspannt
    und war gleichzeitig von Schmerz verzerrt.
    Ruth Vehkasalo wandte sich ab und legte sich auf den
    Rücken. Sie war erleichtert, endlich allein zu sein.
    Endlich wirklich allein. In der Nacht hatte sie sich
    schlafend gestellt, um nicht mehr mit Kalevi sprechen
    zu müssen. Weil sie einfach nicht die Kraft gehabt
    hatte, auch nur ein weiteres Wort zu wechseln.
    Kalevi war rastlos durch das Haus gelaufen. Hatte sich
    ins Bett gelegt, war nach Minuten aufgesprungen, hatte
    das Zimmer verlassen, war zurückgekehrt und wieder
    gegangen und wieder zurückgekehrt. Hatte aufrecht im
    Bett gesessen, sehr bewusst und konzentriert ein- und
    ausgeatmet und sich von Zeit zu Zeit vorsichtig über sie
    gebeugt, um sich zu vergewissern, dass sie schlief. Dann
    hatte er eine Weile ganz leicht ihre Schulter gestreichelt und nicht aufgehört, sich auf die Gleichmäßigkeit
    seines Atmens zu konzentrieren.
    Am Abend hatten sie im Fernsehen einen See gezeigt
    und das Auto eines Mannes, der in dem See, in dem
    Auto zu Tode gekommen war. Ruth Vehkasalo hatte
    vor dem Fernseher gekniet, Kalevi hatte in gebeugter
    Haltung auf der Sofakante gesessen und Worte
    gesprochen, die keinen Sinn ergeben hatten. Dass er das
    Schwein fertig machen werde. Einen Mann, der nicht
    mehr lebte und den sie gar nicht kannten. Noch nicht
    einmal seinen Namen.
    Irgendwann hatte Kalevi aufgehört, einen Unbe-
    kannten, Namenlosen zu beschimpfen, und hatte bei
    der Polizei angerufen, um Näheres zu erfahren. Aber es
    gab nichts Näheres. Wenigstens hatte man ihm nichts
    Näheres gesagt.
    Dann hatte er sich wieder auf die Sofakante gesetzt
    und begonnen, über Sinikka zu sprechen. Hatte einfach
    angefangen und nicht mehr aufgehört, über Sinikka zu
    sprechen, hatte Erinnerungen aus tiefsten Winkeln ge-
    zerrt, hatte gesprochen mit einer Stimme, die aus der
    Ferne, aus einem anderen Raum zu kommen schien,
    und sie hatte sich darauf konzentriert, nicht zuzuhören.
    Sie hatte auf das Verebben des Redeflusses gewartet.
    Im Fernsehen hatte ein Quiz begonnen, und Kalevi
    hatte Filme aus dem Keller geholt und die Kamera an
    den Videorekorder angeschlossen, ohne sich weiter um
    ihre Widerrede zu kümmern.
    »Lass es uns einfach versuchen«, hatte er gesagt.
    »Wenn es nicht gut ist, stoppen wir einfach. Aber ich
    glaube, es wird uns gut tun ...«, hatte er gesagt, sein
    Kopf war ganz rot gewesen, so wie manchmal, wenn er
    zu schnell aß oder wenn er sonntags vom Joggen
    zurückkam.
    Auf dem Bildschirm war das

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