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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Schrott
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bremste ruckartig, drehte sich um, wir mit ihm, um nur noch einen kleinen blauen Fiat davonfahren zu sehen, ohne langsamer zu werden. Milan fluchte lauthals und wollte den Wagen wenden, doch der Verleger legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm.
    Kurz darauf bogen wir in einen Weg, der zu dem Gut am Hügel führte, eine hohe Mauer ringsum, Eisenspitzen und Glasscherben auf der Oberkante bis zu einem schmiedeeisernen Tor samt eingearbeitetem Wappen. Die Gitterflügel öffneten sich auf Knopfdruck und gaben den Blick frei auf gestutzte Hecken, deren Grün in der Hitze verblich, auf dem Hügel ein wuchtiger alter Vierkanthof samt vorgebauter Terrasse, über die sich ein Sonnensegel spannte. Das Auto hielt, Milan verschwand und der Verleger ging voraus, als wäre er hier zuhause. Er goss uns Campari in hohe Gläser, um unsere Zungen vom Frühstück abzulaugen, wie er sagte, und so saßen wir unter diesem Sonnensegel, das uns mit seinem Rot übertünchte und mich nervös machte.
    Ich fühlte mich unwohl, ich wusste, das war wieder einer der Tage, die ich besser allein verbracht hätte, gefangen in einer Geschichte, die mich auch hier keinen Tag losließ, sie immer wieder aufs neue durchdenkend, in der Hoffnung, irgendeine Lösung zu entdecken, in der all die kaleidoskopischen Splitter eine Konstellation ergaben, die uns umfasste, deine Mutter, dich, mich und Kim. Dabei hätte ich eigentlich meine Person und meine Arbeit präsentieren sollen; doch sei es, dass Kim mir die Konversation abnahm oder der Verleger an anderes dachte, es kam nicht dazu. Ich merkte, wie steif ich dasaß, die Stimme in den Hals gerutscht; mein Gesicht zur Maske geworden, starrte ich auf die aus Beton gegossene Fontäne am Ende der Terrasse und den über drei Steinschalen tänzelnden Cupido.
    Damals, als ich deine Mutter kennenlernte, wollte ich noch in meinen Bildern zeigen, was hinter all den Larven der Kunst steckt. Gleich bei welcher Sitzung und für welche Figur, ob auf einem Diwan hingestreckt oder frei stehend, mich interessierte nicht der Akt, sondern das Nackte. Das Modell kam herein, erhielt seine Instruktionen, löste den Knoten an seinem Mantel, drapierte ihn irgendwo und stellte sich dann vor uns auf; doch bis die erwünschte Haltung eingenommen war, glich diese Minute einer Offenbarung, die den Raum aus dem Gleichgewicht brachte, alle Blicke auf die Mitte gerichtet, in der sich uns nun ein Mensch in all seiner Blöße anbot, so überaus wirklich, von fast peinsamer Lebendigkeit, verletzlich und dabei alles beherrschend, sich jedem unserer Blicke unterwerfend.
    Die Pose einmal eingenommen, verlor sich das Nackte sogleich; für die nächsten drei Stunden strahlte der Körper unverhohlenes Selbstvertrauen aus, mit sich im Reinen, ausbalanciert in seinem Stand, während meine Hand aufs Papier zu bannen suchte, was die Augen abtasteten. Meine Faszination galt dem, was sich in diesen Sekunden intensiver als alles erwies: die Gänsehaut, die den Haarflaum aufrichtete, wenn der Saal wie meist zu kühl war, der Schweiß, stand das Modell zu nah an den aufgebauten Lampen. Was die anderen ablenkte oder übergingen, darauf wartete ich: die verhohlene Unruhe, wenn es pinkeln musste oder die Knie kaum merklich beugte, um den Blutkreislauf nicht zu unterbinden. In den alle zwanzig Minuten eingerichteten Pausen entdeckte ich das, worauf ich aus war: den übersehenen Lippenstiftrest auf den Zähnen oder einen hellblau aus dem Schamhaar stechenden Tamponfaden. Manchmal geschah es ganz am Ende, nach einer anstrengenden Pose, bei der das Modell sich übernommen hatte; die Glieder taub geworden, taumelte es auf der Plattform, bevor es sich wieder fing, der Körper die marionettenhafte Starre einbüßend und wieder Mensch werdend, ein verwundeter Engel auf Erden.
    Arbeitete deine Mutter für uns, merkte ich, dass sie sich von den anderen Modellen unterschied: über ihren Hüften fehlte das gerötete Band, das Nylonstrümpfe nach dem Ausziehen hinterlassen, die Druckstellen des Höschens, weil sie gekommen war, ohne etwas anzuhaben außer dem Kleid. Das war professioneller, ungenierter und strahlte dadurch eine durch keine Pose zu verbergende Nacktheit aus.
    Sie ihrerseits musste beobachtet haben, dass ich als einziger unschlüssig vor meinem Block saß, ohne an ihr Maß zu nehmen. Das ging mehrere Sitzungen so, bis sie sich einmal unabsichtlich mit den Fingern durch die Haare fuhr, nachdem die Hand irgendwo mit Kohle in Berührung gekommen war, und auf

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