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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Schrott
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unsichtbaren Glanz zu versehen, sie vollkommen werden zu lassen. Es war, als hätte ein leichter Luftzug im Raum, ein unmerkliches Schwanken der Temperatur die Grenzen zwischen Körper und Welt verwischt.
    Das Flüchtige bestimmt uns. Oder sind es nur zufällige Belanglosigkeiten, die sich einem unauslöschlich einprägen? Ich wünschte, ich könnte es sagen. Drei lange, lange Jahre habe ich alles getan, damit du mich nicht vergisst: in den wenigen Stunden, in denen ich dich sehen durfte, solltest du erfahren, dass du auch einen Vater hast, spüren, dass ich da bin.
    Dass ich mit dir im Arm auf einem Rummelplatz Trampolin sprang, ohne dass du mit deinen drei Jahren genug davon bekamst: daran wirst du dich wohl genauso wenig mehr erinnern wie an unseren Ballonflug über die Loire. Ich wollte dir zeigen, wie die Erde miteins rund wird, und dachte, mit dir zusammen auch meine eigene Höhenangst überwinden, alles durch deine Augen sehen zu können. Doch wenn ich über den Korbrand in die Tiefe blickte, überkam mich stattdessen Angst um dich, stellte ich mir vor, dich fallen zu sehen, dein Körper nur noch ein dunkler Punkt über dem spiegelnden Blau, die Leere in mir unerträglich, verzweifelt nach Atem ringend, während ich an deinem Gesichtsausdruck nur stille Neugier ablas, die bald der Langweile wich, sodass du schnell zu plärren begannst und zurück auf den Boden wolltest.
    Da hättest du vielleicht schon sagen können, dass du nachts träumst. Woran aber hast du zum ersten Mal den Unterschied zwischen dem Wachen und dem Träumen gemerkt, diesen Bildern, die uns glauben machen, wir wären am Leben? Weil sie, sobald du nachts die Augen aufschlägst, ins Dunkel fallen?
    Manchmal wähnt man, dass etwas unabänderlich seinen Lauf nimmt, ohne zu ahnen, wohin es führt. Ich war zu jener Zeit in ein Niemandsland geraten, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass ich mit meiner Kunst, mit allem, was so vielversprechend begonnen hatte, am Scheitern war.
    Zurück zum Figürlichen hatte ich gewollt; doch das Reale missriet mir zum Kitsch, nicht besser als der Zuckerbäckerstil von Sacré-Cœur, dessen weißer Travertin nie Patina annehmen wird, nachts von der Beleuchtung zusätzlich noch mit einer weißen Glasur überzogen, was ihm die Weihen völliger Verkommenheit verleiht. Hatte ich dem Menschen seine verstörende Wirklichkeit wiedergeben wollen, zeigte sich auch mir mit jeder Studie bloß das Leere unter der Haut, den Gesichtern und Blicken. Dass dies an mir lag, ich zu nichts wirklich Menschlichem durchdrang, das zuzugeben bin ich erst jetzt imstande. Ob es mir an Talent mangelte oder ob ich aufgrund meiner Erziehung die falsche Geisteshaltung mitbrachte, vermag ich nicht zu sagen: nur dass ich in eine Sackgasse geraten war, in der ich mir wie einem Doppelgänger gegenüberstand.
    Dazu kam der finanzielle Druck, mit meinen Bildern nun eine Familie erhalten zu müssen. Da ich kaum etwas verkaufte, sah ich mich nach Arbeit um. Ich bot der Akademie Vorlesungen über die Malerei der Renaissance an, was aufgrund meiner fehlenden akademischen Qualifikation auf keinen Widerhall stieß; man vermittelte mir lediglich die Mitarbeit an der Katalogisierung der Bilder eines nach Indonesien ausgewanderten Deutschen. Deshalb hängte ich allerorts Zettel mit meiner Telefonnummer auf, in denen ich mich als Portraitmaler ausgab, ohne aber genügend Aufträge zu erhalten, und suchte zu diesem Zweck sogar mein ehemaliges Institut an der Uni auf, obwohl ich jeden Anknüpfungspunkt längst verloren glaubte. Dennoch löste eine belanglose Konversation mit der Sekretärin dort einige Zeit später völlig überraschend die Anfrage aus, ob ich Illustrationen des Sternenhimmels für einen Schmuckband anfertigen wolle. Ich zierte mich zunächst, weil ich glaubte, das Honorar weiter nach oben treiben zu können. Da sich der Verleger die Mühe machte, mich in Paris aufzusuchen, legte ich dies als Zeichen aus, dass er mich wertschätzte. Obwohl ich schnell herausgefunden hatte, dass er eigentlich nur der Buchmesse wegen nach Paris gekommen war, schmeichelte es mir, dass er mich zuhause aufsuchte; sogar deine Mutter mochte ihn, trotz seiner plumpen Zutraulichkeit.
    Dass sein Projekt ausgerechnet für Kroatien bestimmt war, störte mich nicht; ich fühlte mich umworben genug. Ebenso wenig stieß ich mich daran, dass er sich dann am Ende nicht einmal mehr die Mühe machte, die Mappe in Paris abzuholen, sondern mich kurzerhand nach Zagreb bestellte,

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