Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
–, denn so viel muss gesagt werden, Sie haben Ihre Heimat und alle Menschen, die dort leben, entehrt. Und Ihre Haltung zur anglo-irischen Grundbesitzerschicht? Kann man die Vergangenheit nicht Vergangenheit sein lassen? Sollen wir uns über Missetaten aufregen, die vor unendlich vielen Jahren verübt wurden? Haben wir uns das ewige Wehklagen über das Unrecht, das unseren verblichenen Vorfahren angetan wurde, nicht längst abgewöhnt? Erlauben Sie mir bitte, eine Art Erklärung für Ihre fehlgeleiteten Bemühungen anzuführen. Man hat mich unterrichtet, dass Ihr Gatte, Aaron McCloud, Neffe der schätzenswerten Kitty McCloud, Amerikaner ist und Schriftsteller sein soll. Ich habe den Verdacht, dass er, nicht Sie, dieses verabscheuungswürdige Machwerk verfasst hat. Niemand, der in Erin geboren ist, kann so wenig von dem wissen, was Irland ist und wer die Iren sind. Nur ein Amerikaner irischer Abstammung – der sich immer noch in Beschimpfungen ergeht, die längst lächerlich geworden sind – kann es wagen, die heutige irische Denkweise zu verunglimpfen, indem er behauptet, Geister streifen im Lande umher und werden von Menschen akzeptiert, die ihre Bildung in irischen Schulen genossen haben und im modernen Irland aufgewachsen sind. Nur ein Amerikaner, dessen Familie in weit zurückliegenden Tagen Irland aufgegeben hat, ist imstande, sich empört gegen die Engländer aufzuplustern, mit denen wir uns nun ausgesöhnt haben, abgesehen von ein paar verbohrten Katholiken im Norden. Die Briten sind schließlich unsere wichtigsten Handelspartnergeworden und bieten einen aufnahmebereiten Markt für irische Exporte. Ich hoffe aufrichtig, diese Entlastung, diese Schuldzuweisung an Ihren amerikanischen Gatten ist, um Ihretwillen, zutreffend. Jedenfalls möchte ich das in aller Wohlgesonnenheit annehmen.
Und noch etwas: Ich empfehle, dass Ihr Mann alle literarischen Ambitionen fahren lässt, und fordere Sie auf – eine geborene Irin, die gewiss eigene Geschichten zu erzählen weiß –, seinen Platz am Computer einzunehmen, während er ein für alle mal das Schweinehüten übernimmt. Die Zukunft der irischen Literatur macht das notwendig. Freundlichst, Fiona O’Toole.«
Während ihrer Zeit als Schriftstellerin hatte Lolly zwar nicht all ihren Frohsinn verloren, war aber eines ansehnlichen Teils des für sie charakteristischen Vergnügens an Alltagskatastrophen verlustig gegangen. Unsicherheit und Zweifel wie auch Befürchtungen um ihre Selbstständigkeit waren für sie völlig neue Gefühle, mit denen sie nicht zurechtkam und die sie schon gar nicht zu unterdrücken vermochte. Nur, wenn sie mit fröhlicher Ungeduld Aaron in den Freuden des Schweinefütterns unterwies, hatte sie ihr altes Selbstwertgefühl wiedergewonnen. Dank Ms O’Tooles Brutalität durfte ihre Rückverwandlung nun dauerhafte Formen annehmen.
Anstatt die Worte dieser Frau als blindes und unwissendes Gezeter einer offensichtlich inkompetenten Person abzutun – eine Reaktion, zu der Aaron mehr als einmal geneigt war –, hatte Lolly mit ungezügeltem Vergnügen von ihrem Mann verlangt, ausgewählte Passagen laut zu wiederholen, wodurch ihre Ausgelassenheit nur angefeuert und ihr schrilles Lachen verstärkt wurden. Enttäuscht war sie jedoch, dass Ms O’Toole es versäumt hatte, die Auflösung des Plots gehörig niederzumachen: nämlich sich der Geister zu entledigen, indem die Burg gesprengt wird. Diese absurde Lösung des Konflikts hatten ihr Kitty und ihr Mann Kieran vorgeschlagen, als Lolly sich an sie um Rat gewandt hatte, wie sie das ganze Debakel zu einem vertretbaren Abschluss bringen könnte. Und wie um noch eins draufzusetzen,kamen sie mit der Idee, das Schießpulver sei bereits in den Steinplatten im Boden der Großen Halle der Burg eingelagert. Dieser Mangel an Erfindungsgabe hatte Lolly verstört, doch unerfahren wie sie war, hatte sie getan, was man ihr gesagt hatte. Warum hatte sich die Agentin nicht zu diesem offensichtlichen Versagen künstlerischer Einbildungskraft geäußert?
Doch als Lolly Aaron aufforderte: »Lies den Absatz noch mal, wo sie schreibt, du musst es gewesen sein, der den Roman verfasst hat. Den Absatz meine ich«, da hatte er nur geantwortet: »Nein, danke, einmal reicht.«
Während sich die Fahrt hinzog, wuchs das Unbehagen, das bereits seit einiger Zeit an seinem gegenwärtigen Zufriedensein nagte. Da sie nun die Schweine abgeliefert hatten, die so prachtvoll infolge seiner Mühewaltung gediehen waren, und nach dem
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