Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
Jahrhunderten, die Stickerei in Gold und Purpur, die seine Weste verzierte, erstrahlte im schwachen Mondlicht. Auch die glitzernden Goldspangen seiner fein gearbeiteten Schuhe waren im nebligen Dunkel zu erkennen. Auf dem Kopf saß ein Dreispitz und zierte die kunstvoll arrangierten Locken.
Zu guter Letzt war er nun doch gekommen, um von der Burg Kissane Besitz zu ergreifen, aus der er vor dem Donnergetöse geflohen war. Das Schießpulver hatte seine Schuldigkeit getan. Der Anblick, der sich ihm bot, war weiß Gott fürstlich, ein Haufen Schutt und Staub. Die Burg war nun sein, niemand, und Tom und Jim am allerwenigsten, würde ihm seine Rückkehr streitig machen. Die beiden waren zu Tode erschrocken, standen mit offenen Mündern da, in die der Nebel kroch.
Wer sich vor Angst in die Hosen machte – das oder Ähnliches hatte ja der Lord prophezeit –, war Tom.
Die letzten Worte zu sprechen, sollte Kitty obliegen. Die Kühe waren auf den Lastwagen bugsiert. Überzeugt, dass nichts mehr zu retten war, waren sich Kitty und Kieran einig, dass sich mit der Ruine andere abplagen sollten. Sie wollten die Stätte nie wiedersehen. Sie waren schon im Begriff einzusteigen und sich auf die traurige Reise zu begeben, als merkwürdige Laute sie aufhorchen ließen. Sie schauten sich um, konnten aber außer dem dunklen Berg nichts Auffälliges entdecken. Dann bemerkte Kitty etwa zehn Schritt weiter höher am Abhang einen Ring, wieman ihn Schweinen durch den Rüssel zieht. Sie ging hin und hob ihn auf. Er war zerbrochen, die Rundung zeigte eine gezackte Bruchstelle, als hätte man das Metall heftig an einen Stein gehauen. Er erinnerte sie an den Ring, den sie seinerzeit an der kaputten Mauer gefunden hatten, als das damals noch leibhaftige Schwein ihnen den Hinweis gegeben hatte, wo im Obstgarten die Pläne für das Schießpulver vergraben waren.
Sie betrachtete den Ring von allen Seiten. Es konnte nicht der von damals sein; alle Merkmale sprachen dagegen. Sie wollte ihn schon wieder auf den Hang zurückwerfen, als sie hörte, wie Kieran ihr zuraunte: »Kitty, sieh mal, dort.«
Kitty wandte sich um und sah, woher die merkwürdigen Laute kamen. Draußen auf der See bewegte sich eine beachtliche Rotte Schweine scheinbar mühelos über Lichtstrahlen, die auf den Wellen tanzten. Angeführt wurde sie von einem Schwein, das den Betrachtern sehr wohl bekannt war. Es schien den anderen den Weg zu weisen. Zunächst verursachten sie den üblichen Lärm, wie man ihn von sich zusammenrottenden Schweinen kannte – Quieken, Schreien, Grunzen, Kreischen, Laute, mit denen sie auch sonst ihrem Unmut Luft machten. Bald aber ging die Kakophonie in eine geradezu himmlische Hymne über, in einen überwältigenden Choral höchster Lobpreisungen. Als hätte alles Leiden ein Ende, verwandelten sich Wehklagen und Gezeter in harmonische Töne und jauchzende Melodien, die gen Himmel schwebten.
Kitty, die neben Kieran stand, sah auf den metallenen Ring, den sie immer noch in der Hand hielt. Sie spürte am Rücken eine kaum merkliche Berührung, zart und sacht, nicht mehr als ein Windhauch, der nicht vorüberzog, sondern sich wie ein schwereloser Umhang auf sie senkte. Sie machte keinerlei Anstalten, ihn abzuschütteln.
Sie sprach mit monotoner und doch fester Stimme: »Die Witwe Colville gab einem Jungen namens Taddy, der ihr für den Winter den Torf gestochen hatte, ein kleines Ferkel. Das Schweinchen wurde gehegt und gepflegt, wurde mit Dingen gefüttert,die sich der junge Mann vom Munde absparte. Unter seiner liebevollen Fürsorge wuchs es rasch heran. Als heimliche Gabe, von der nur er wusste, ging es weiter an ein schönes junges Mädchen namens Brid, sollte ihm aber später bei ihrer Hochzeit wiedergegeben werden, denn eine andere Mitgift konnte die Familie nicht aufbringen. Doch die zwei wurden gehängt, und am gleichen Tag, als das geschah, verschwand das Schwein auf Nimmerwiedersehen. Von da an erschienen immer dann, wenn zu Vollmond das uralte Fest Lughnassadh zum Lob des täglichen Brotes begangen wurde, am Westhang des Crohan seine Nachkommen, allesamt Geister wie der hübsche junge Mann und die schöne junge Maid, für die das aufgezogene Schwein gedacht war, als ein Zeichen für Brid und Taddy, dass auch sie auf den Tag warteten, da sie alle von dem Geisterbann erlöst würden, der mit dem grausamen Erhängen über sie gekommen war. Der Tag ist nun da. Sie kehren nie wieder: weder Brid noch Taddy und auch nicht das Schwein.«
Kitty
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