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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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die Wohnungsanzeigen zu studieren. Ramona hatte gerade Schicht und fauchte auf sein freundliches »Tach, schöne Frau!« heiser zurück: »Schön war ich gestern Nacht!«
    Mit laut pochendem Herzen starrte er sie an: dunkel umrandete Lippen, neongelb-schwarz getigertes Stretchkleid mit breitem Schnallengürtel und Palmenfrisur. Sein Herz schlug noch ein bisschen schneller, als er entdeckte, dass eine Schachtel seiner Mentholzigarettenmarke unter ihrem Träger klemmte. Sie schmierte ihm hustend ein Mettbrötchen, drückte mit ihren aufgeklebten Nägeln ein Gürkchen tief hinein, schaute auf und zwinkerte ihn an. Da war es passiert. Er hatte sich verknallt. Sie hatte noch ein bisschen Hack am Finger, schmierte es sich gedankenverloren hinter das Ohr, lächelte und sagte: »Eau de Schwein!« Spätestens da war Reiner hoffnungslos verloren.
    Während er mit einem Grinsen die Brötchenhälfte im Ganzen vertilgte, steckte sie ihren Finger tief ins Mett und leckte ihn langsam ab – so wurde daraus Liebe. Ramona schmierte Reiner von da an jeden Tag umsonst so viele Mettbrötchen, wie er wollte, und strich ihm Wohnungsanzeigen an. In der kleinen Wohnung, in der wir schließlich zu dritt miteinander auskommen mussten, hatte ich nicht mal ein eigenes Zimmer. Als ich sieben war, zogen wir in eine Wohnung, die ein halbes Zimmer mehr hatte, eine Kammer, in die gerade so mein Bett hineinpasste.
     
    Mit zehn hatte ich meine erste Panikattacke.
    Wir fuhren mit dem Auto in den Urlaub nach Italien, und Reiner brüllte: »It’s time for music!«
    Das sagte er andauernd. Er sagte es, bevor er in die Badewanne stieg oder bevor er den Zündschlüssel umdrehte, bevor er morgens die Imbissbudeaufsperrte oder bevor er aufs Klo ging, er sagte es sogar gleich nach dem Aufwachen. Meistens meinte er tatsächlich die Musik, die sich auf seiner Lieblingskassette befand. Die Hülle hatte er selbst beklebt, mit der Abbildung aus einem Reisekatalog, versiegelt mit transparenter Klebefolie. Zu sehen war der überfüllte Strand des Campingplatzes in Italien, auf dem wir jedes Jahr Urlaub machten. Und darüber, mit goldenem Edding in Reiners Kinderschrift:
Rock Romance!
Auf die Innenseite hatte er Titel und Interpreten geschrieben und dazwischen goldene Herzchen gemalt. Er schob die Kassette meist sofort ein, wenn er ins Auto stieg, und ganz sicher jedes Mal, wenn es auf die Autobahn ging – wir mussten sie dann die ganze Strecke über hören, bis nach Italien. Außerhalb des Autos durfte man
Rock Romance!
nicht abspielen. Das hatte er verboten. Natürlich war niemand in der Familie interessiert daran, die Kassette freiwillig abzuspielen. Wir konnten sie auswendig, sogar Ramona – und die verstand nicht mal Englisch! Es war eine 120-Minuten-Kassette in mittlerweile übler Qualität. Mein Vater sagte, es sei der perfekte Mix, um nachts Autobahn zu fahren – eine Beschäftigung, die er sein Hobby nannte.
    Die Kassette begann mit »Here I Go Again« von Whitesnake, und sie endete mit »Is This Love« von Whitesnake. Dazwischen viel ZZ Top, Scorpions, Bon Jovi, Nazareth, Europe, Van Halen, Alice Cooper – und noch mehr Whitesnake.
    Meine Augen tränten längst vom Qualm der Zigaretten, die Reiner und Ramona auch auf dieser Urlaubsfahrt unaufhörlich rauchten, als er »Bad Medicine« von Bon Jovi voll aufdrehte. Ramona trank aus ihrem Flachmann, mein Vater schlug aus Wut über andere Fahrer gegen die Windschutzscheibe und warf mit abgenagten Hühnerknochen um sich.
    Kurz vor der österreichischen Grenze musste ich dringend aufs Klo. Ramona rief: »Och Mensch, Kinnings! Je mehr Stopp, desto weniger Urlaub! Da is im Schlussendeffekt am Ende ’n ganzer Tach ab!« Deshalb bekam ich im Auto nie was zu trinken. Aber diesmal hatte ich eine Dose Bier zwischen all den Klamotten entdeckt, unter denen ich begraben war.
    Ich riss mich zusammen, bis meine Blase schmerzte, dann tippte ichRamona auf die Schulter, und als sie nicht reagierte, fing ich an zu brüllen. Erst auf Befehl meines Vaters hielt sie an der nächsten Raststätte.
    Endlich auf der Toilette, dauerte es umso länger, bis etwas kam. Ich benutzte die zwei letzten Blätter des groben grauen Klopapiers und beeilte mich wieder zurück zum Auto zu kommen. Sekunde um Sekunde fürchtete ich mehr, dass Ramonas feindselige Ungeduld wuchs. Und dann ließ der verdammte rostige Schlüssel sich nicht umdrehen, das Schloss blockierte schon nach einer halben Drehung. Ich versuchte, auf dem Bauch liegend, die

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