Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
dass wir ihnen eine echte Überraschung bereiten können.«
»Wir wollen es hoffen«, sagte Nicci.
In diesem Moment brachen einige der Stadtbewohner, die noch im Stallgebäude ausgeharrt hatten, in aufgeregtes Geplauder aus. Niccis Kriegslist zur Verwirrung des Feindes war offenbar ganz nach ihrem Geschmack. Schließlich wünschten einige ihnen eine gute Nacht und gingen, während andere sich um den Toten scharten und ihn anstarrten.
Nicci schenkte Victor ein kurzes Lächeln. »Tut mir Leid, dass ich dich ohrfeigen musste.«
Der zuckte nur mit den Schultern. »Es war ja für einen guten Zweck.«
Als sie sich zu Richard herumwandte, wirkte sie leicht verlegen, so als erwartete sie eine Strafpredigt oder zumindest einen Rüffel.
»Die Truppen, die sich auf dem Weg hierher befinden, sollen auch weiterhin im Glauben bleiben, dass es für sie ein Leichtes wäre, uns vernichtend zu schlagen«, gab sie als Erklärung an. »Übergroße Siegesgewissheit verleitet zu Fehlern.«
»Aber das war doch noch nicht alles«, gab Richard zurück.
Nicci warf rasch einen Blick zu den Leuten hinüber, die sich noch im Stallgebäude befanden, ehe sie sich ganz dicht neben ihn schob, sodass die anderen sie nicht hören konnten. »Du hast gesagt, ich könnte mich dir anschließen, sobald die anrückenden Truppen überwältigt sind.«
»Ja, und?«
Ihre blauen Augen bekamen einen harten Zug. »Ich bin fest entschlossen, genau das zu tun.«
Er betrachtete sie eine Weile nachdenklich, dann gab er sich einen Ruck und beschloss, ihr bei der Unterstützung der Bewohner Altur’Rangs völlig freie Hand zu lassen und sich nicht in ihre Pläne einzumischen, zumal er ziemlich besorgt war, wie dieser Plan wohl aussehen mochte. Im Augenblick wollte er gar nicht wissen, was sie im Schilde führte. Er hatte schon genug Sorgen.
Richard ergriff die losen Enden der durch ihr Leibchen gefädelten Kordel, zurrte sie fest und knotete sie wieder zusammen, während Nicci, die Hände locker an den Seiten, dastand, ohne ihn auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. »Danke«, sagte sie, als er fertig war. »Schätze, es muss sich bei der Aufregung irgendwie gelöst haben.«
Richard überhörte ihre Ausrede und blickte zur Seite, wo er, verdeckt von einigen anderen Stadtbewohnern, Jamila stehen sah. Das Gesicht rot und verquollen, lag sie auf den Knien und drückte das völlig verängstigte kleine Mädchen an ihre Brust.
Richard ging zu ihr hin. »Wie geht es ihr?«
Jamila hob den Kopf. »Ihr ist nichts passiert. Danke, Lord Rahl. Ihr habt ihr kostbares Leben gerettet. Ich danke Euch.«
Das Mädchen, eben noch Zeugin einer grauenhaften Tat durch Richards Hand, klammerte sich schluchzend an seine Mutter und starrte Richard mit einem Ausdruck des Entsetzens im Gesicht an, als müsste es befürchten, von ihm als Nächste erschlagen zu werden.
»Ich bin sehr erleichtert, dass ihr nichts passiert und sie unverletzt ist«, wandte er sich wieder an Jamila.
Richard lächelte dem Mädchen zu, erntete im Gegenzug aber nur einen hasserfüllten Blick. Voller Mitgefühl fasste Nicci seinen Arm, enthielt sich aber einer Bemerkung.
Schließlich ergriffen die im Stallgebäude Zurückgebliebenen das Wort und beglückwünschten ihn zur Rettung des Kindes. Ihnen allen schien mittlerweile klar geworden zu sein, dass Niccis an den Fremden gerichtete Bemerkungen eine Art Täuschungsmanöver gewesen waren, und nicht wenige von ihnen erklärten ihr ganz unumwunden, dass sie ihren Bluff für einen raffinierten Schachzug hielten.
»Das sollte sie abschrecken«, meinte einer.
Doch Richard wusste, dass ihre Absichten sehr viel weiter gingen, als sie einfach nur »abzuschrecken«. Was sie tatsächlich im Schilde führte, bereitete ihm nicht geringe Sorgen.
Er schaute kurz zu, wie einige Männer den toten Spion fortschleiften, während andere auf Ishaqs Anweisung darangingen, die Blutspuren zu beseitigen. Der Geruch des Blutes machte die Pferde nervös, und je eher es beseitigt wäre, desto besser.
Die Übrigen wünschten Richard eine gute Reise und begaben sich anschließend zurück in ihre Häuser. Binnen kurzem waren alle gegangen. Die Männer, die mit dem Beseitigen der menschlichen Überreste beschäftigt waren, beendeten ihre Arbeit und gingen ebenfalls, nur Nicci, Cara, Ishaq und Victor blieben noch. In dem Stallgebäude kehrte wieder Stille ein.
24
Vorsichtig suchte Richard die Schatten mit den Augen ab, ehe er sich auf den Weg machte, um sich die Pferde
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