Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
euren Mitmenschen vergessen, gegenüber den Wegen des Schöpfers? Wie können wir darauf hoffen, dass Kaiser Jagang uns eines Tages wieder in den Schoß der Imperialen Ordnung aufnimmt, wenn wir uns wie menschenunwürdige Tiere aufführen?«
Die Menge stand schweigend da. Richard hoffte von ganzem Herzen, sie begriffen ebenfalls, dass Nicci einen bestimmten Zweck verfolgte und sie gut daran täten, ihren Plan nicht zu durchkreuzen.
»Ich werde als Gemahlin des Bürgermeisters nicht zulassen, dass sinnlose Gewaltanwendung unser Volk und unsere Zukunft vergiftet.«
Die Hände in die Hüften gestemmt, löste sich eine jüngere Frau aus der Menge und trat einen Schritt vor. »Aber diese Männer wollten …«
»Wir dürfen nie, in keinem Augenblick, unsere Pflicht den Mitmenschen gegenüber aus dem Auge verlieren«, fiel ihr Nicci in bedrohlichem Ton ins Wort, »um stattdessen unseren eigennützigen Begierden zu frönen.«
Richard, dem mehr und mehr dämmerte, worauf sie hinauswollte, zog die Frau mit einem verstohlenen Seitenblick auf Victor zurück, um sicherzustellen, dass sie den Mund hielt.
Nicci ließ ihren Blick über die Wachposten schweifen. »Es ist unsere Pflicht, unseren Mitmenschen ein Vorbild zu sein, nicht sie niederzumetzeln. Heute Abend ist ein Mensch ermordet worden, ein Vorfall, von dem die Behörden in Kenntnis gesetzt werden müssen, ehe sie entscheiden, was mit diesem Zimmermann zu geschehen hat. Bis dahin werden einige von euch dafür sorgen müssen, dass er hinter Schloss und Riegel kommt.
In der Zwischenzeit werde ich, als Gemahlin des Bürgermeisters, zu verhindern wissen, dass dem zweiten Mann hier ein ähnlich ungerechtes Schicksal widerfährt. Wiewohl ich weiß, dass mein Gemahl die Angelegenheit alsbald geregelt wissen möchte, weiß ich auch, dass er nicht bis morgen warten würde, um dies persönlich anzuordnen. Er würde die Angelegenheit sofort geklärt sehen wollen, deshalb werdet ihr diesen zweiten Bürger hier bis vor die Stadt geleiten und ihn dort auf freien Fuß setzen. Lasst ihn in Frieden seines Weges ziehen, wir werden ihm kein Härchen krümmen. Der Zimmermann wird, wie ich bereits erklärt habe, in Gewahrsam genommen, bis er den zuständigen Behörden vorgeführt werden kann, wo er sich für seine abscheuliche Tat zu verantworten haben wird.«
Victor machte eine Verbeugung. »Eine kluge Entscheidung, Madam. Ich bin sicher, Euer Gemahl, der Bürgermeister, wäre hocherfreut, dass Ihr in seinem Namen eingeschritten seid.«
Als er sich vor ihr verneigte, starrte sie einen Moment lang auf seine Schädeldecke, dann wandte sie sich ab, trat vor den zweiten gefangen genommenen Spion hin und verbeugte sich vor ihm.
Richard fiel auf, dass sich irgendwann während ihres Auftritts die Schnur ihres Leibchens gelöst hatte, und das war auch dem Gefangenen nicht verborgen geblieben. Ihre tiefe Verbeugung gewährte ihm einen ausgiebigen, ungehinderten Einblick in ihr Dekolleté, sodass es, als sie sich wieder aufrichtete, einen Moment dauerte, bis er ihr schließlich in die Augen sah.
»Ich hoffe, Ihr nehmt unsere Entschuldigung für Eure unmenschliche Behandlung an. Dies entspricht nicht der Art, die man uns beigebracht hat, alle Menschen als unsere Brüder und Gleichgestellte zu respektieren.«
Der Mann machte ein Gesicht, als wollte er zum Ausdruck bringen, es sei ihm unter Umständen möglich, die ihm widerfahrene Misshandlung zu verzeihen. »Ich kann schon verstehen, warum ihr alle hier so gereizt reagiert, schon wegen eures Aufstands gegen die Imperiale Ordnung und ähnlicher Dinge mehr.«
»Aufstand?« Nicci machte eine wegwerfende Handbewegung. »Unsinn. Das Ganze war nicht mehr als ein Missverständnis. Ein paar Arbeiter« – dabei wies sie, ohne hinzusehen, auf Richard -, »wie diese dummen, selbstsüchtigen Burschen hier, haben mehr Lohn und Mitbestimmungsrechte verlangt, das ist alles. Wie mein Gemahl mir gegenüber mehrfach beteuerte, wurde das Ganze falsch ausgelegt und unverhältnismäßig aufgebauscht. Ein paar Dickschädel haben eine bedauerliche Panik ausgelöst, die außer Kontrolle geraten ist. Im Grunde hatte das Ganze Ähnlichkeit mit dem Vorfall heute Abend – ein Missverständnis, das dazu führte, dass einem unschuldigen Kind des Schöpfers unnötiges Leid widerfuhr.«
Der Mann betrachtete sie lange mit einem unentzifferbaren Blick, ehe er sprach. »Und so empfindet ganz Altur’Rang?«
Nicci seufzte. »Nun, ganz sicher mein Gemahl, der
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