Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
zurechtkommen.«
»Aber zu Pferd könnten wir diesen Ort schneller verlassen.«
Er schob seine Arme in die Ärmel seines Hemdes, ohne den umliegenden Wald aus den Augen zu lassen. »Über den Gebirgspass können wir sie nicht mitnehmen, der ist an einigen Stellen viel zu eng, und ebenso wenig nach Agaden, wo Shota lebt. Gönnen wir ihnen also ihre wohlverdiente Verschnaufpause, während wir die Hexe besuchen. Sobald wir in Erfahrung gebracht haben, was sie über Kahlans jetzigen Aufenthaltsort weiß, können wir wieder zurückkommen und sie holen. Vielleicht weiß Shota sogar, wie wir dieses Wesen abschütteln können, das mich verfolgt.«
Cara nickte und stopfte die wenigen Gegenstände, die sie herausgenommen hatte, wieder in ihr Bündel zurück, dann holte auch sie einen Umhang hervor. Sie nahm ihr Bündel an einem Tragegurt auf und warf es sich über die Schulter. »Wir müssen noch ein paar Dinge aus unseren Satteltaschen drüben bei den Pferden holen.«
»Die lassen wir hier zurück. Ich möchte nicht mehr als unbedingt nötig mitschleppen müssen, das würde uns nur behindern.«
Den Blick in den dichten Regenschleier gerichtet, sagte sie: »Aber jemand könnte unsere Vorräte stehlen.«
»Kein Dieb würde sich in Shotas Nähe wagen.«
Erstaunt blickte sie zu ihm auf. »Und warum nicht?«
»Weil sie und ihr Gefährte durch diese Wälder streifen; und sie ist eine ziemlich unduldsame Frau.«
»Na, das ist ja großartig«, murmelte Cara.
Richard schwang sein Bündel herum auf seinen Rücken und marschierte los. »Kommt jetzt. Beeilt Euch.«
Sie hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. »Habt Ihr jemals die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Hexe gefährlicher sein könnte als dieses Wesen?«
Er warf einen Blick über die Schulter. »Ihr seid heute Morgen von ausnehmend sonnigem Gemüt, wisst Ihr das?«
37
Der Regen war in Schnee übergegangen, kaum dass sie den dichten Wald hinter sich gelassen hatten; sie waren, nach Überqueren der Baumgrenze, jetzt in das Gebiet des Buckelwaldes vorgedrungen. Die in dieser Höhe üblichen überaus harten Witterungsbedingungen hatten zur Folge, dass die verkümmerten, nur mit spärlichem Grün bedeckten Bäume in bizarren windschiefen Formen wuchsen. Eine Durchquerung des Buckelwaldes hatte etwas von einer Wanderung durch die versteinerten Formen verdörrter Seelen mit ihren für alle Ewigkeit in gequälter Haltung erstarrten Gliedern, so als wären sie ihren Gräbern entstiegen, nur um ihre Füße auf ewig mit dem geweihten Boden verwachsen zu finden, der verhinderte, dass sie der Welt des Irdischen jemals entkommen konnten.
Obwohl es Menschen gab, die sich schlicht weigerten, die unwirkliche Welt des Buckelwaldes ohne irgendeine Art mystischen Schutz zu betreten, verband Richard keine abergläubischen Gefühle mit diesem Ort. In seinen Augen waren diese Vorstellungen im Grunde nichts weiter als Ausflüchte – Ausflüchte von Menschen, die es vorzogen, unwissend zu bleiben. Richard durchschaute dieses vordergründige Getue und sah, was sich tatsächlich hinter diesem Aberglauben verbarg – nichts Geringeres als der Appell, den Menschen als ein Wesen zu betrachten, das unfähig ist, seine selbst gesteckten Ziele zu erreichen und sich zum Zwecke der Sicherung seines Überlebens mit der Realität seiner Umgebung zu befassen, das sich stattdessen die Vorstellung zu Eigen macht, sein ganzes Dasein beruhe nur auf den Launen ungewisser, sich dem menschlichen Erkenntnisvermögen entziehender Kräfte, die man lediglich durch einen demütigen Kniefall oder – so man gezwungen ist, einen spirituellen Ort zu betreten – durch das Mitführen eines geeigneten Talismans überreden kann, doch bitte von ihren grausamen und erbarmungslosen Anwandlungen Abstand zu nehmen.
Auch wenn Richard sich im Buckelwald stets unbehaglich gefühlt hatte, so wusste er doch, was es mit diesem Ort auf sich hatte und warum er so gewachsen war, selbst wenn das dem Aufenthalt an diesem Ort nichts von seiner Unheimlichkeit nahm. Im Wesentlichen, so glaubte er, gab es zwei Möglichkeiten, mit dieser seit Urzeiten in der Natur des Menschen angelegten Regung umzugehen. Die abergläubische Lösung bestand darin, geweihte Talismane und Amulette mit sich herumzuschleppen, um die an diesen Orten vermuteten übellaunigen Dämonen und unbegreiflichen dunklen Kräfte abzuwehren – in der Hoffnung, die Mächte des Schicksals ließen sich womöglich überreden, netterweise von ihrem launischen
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