Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
weiter.
Dann ging er in Gedanken alles noch einmal durch und kam zu einem überraschenden Schluss. Seine beharrlichen Versuche, sich ein bestimmtes Ereignis ins Gedächtnis zu rufen, an das sich Cara oder ein anderer seiner engsten Vertrauten eigentlich erinnern müsste, ließen ihn geradewegs in die Falle tappen, dass er all sein Denken und Handeln dem Problem widmete anstatt seiner Lösung. Und das, obwohl ihn Zedd schon seit frühester Jugend ermahnt hatte, stets das Ziel – die Lösung – im Auge zu behalten, und eben nicht das Problem!
Augenblicklich schwor er sich, sein Augenmerk ausschließlich auf das Problem zu richten und fortan sämtliche durch Kahlans Verschwinden hervorgerufene Ablenkungen außer Acht zu lassen. Cara, Nicci und Victor, sie alle hatten irgendwelche Antworten parat, um die inneren Widersprüche aus der Welt zu schaffen, aber keiner erinnerte sich an die Dinge, die, dessen war er absolut sicher, geschehen waren. Indem er immer wieder umständlich darauf zu sprechen kam, was er mit Kahlan geschaffen hatte, und mit den anderen wieder und wieder durchging, weshalb sie diese so bedeutsamen Ereignisse unmöglich vergessen haben konnten, ließ er lediglich zu, dass ihm die Lösung immer mehr entglitt – und mit ihr Kahlans Leben!
Sein und Kahlans Leben waren auf vielfältige Weise unentwirrbar miteinander verwoben, und in gewisser Hinsicht kannte er sie – als Konfessorin – schon seit frühester Jugend, lange bevor er ihr an jenem Tag in den Wäldern Kernlands persönlich begegnete. George Cypher, der Mann, der ihn großgezogen und den Richard damals für seinen Vater gehalten hatte, erzählte ihm damals, er habe ein geheimes Buch aus großer Gefahr gerettet, indem er es nach Westland geschafft habe. Dieses Buch, so die Erklärung seines Vaters, stelle, solange es existiere, eine große Gefahr für jeden dar, trotzdem bringe er es nicht über sich, das darin enthaltene Wissen zu vernichten. Die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass das Buch in falsche Hände falle, und gleichzeitig das Wissen zu erhalten, bestehe darin, das Buch auswendig zu lernen und es anschließend zu verbrennen. Eine gewaltige Aufgabe, für die er Richard auserkoren hatte.
Also führte ihn sein Vater an einen geheimen Ort tief in den Wäldern, wo er Richard tagein, tagaus, Woche für Woche dabei beobachtete, wie dieser das Buch unzählige Male las, um es sich in mühevoller Kleinarbeit einzuprägen. Sein Vater selbst warf nie auch nur einen Blick hinein, diese Verantwortung oblag Richard allein.
Nach einer langen Phase des Lesens und Einprägens ging Richard schließlich dazu über, den auswendig gelernten Text niederzuschreiben und mit dem Buch zu vergleichen. Anfangs machte er noch viele Fehler, aber trotz seiner jungen Jahre und obwohl er das Gelesene längst nicht ganz verstand, vermochte er die ungeheuere Bedeutung dieses Werkes zu begreifen: dass es von überaus komplizierten Vorgängen handelte, bei denen es stets um eines ging, nämlich Magie. Echte Magie.
Nach einer Weile konnte er das Buch schließlich einhundertmal von der ersten bis zur letzten Seite ohne einen einzigen Fehler niederschreiben, bis er sich endlich sicher fühlte, nie wieder auch nur ein Wort des Inhalts zu vergessen, denn nicht nur durch den Text selbst, sondern auch anhand seines eigentümlichen Satzbaus war ihm klar geworden, dass jede noch so geringfügige Auslassung verheerende Folgen für das darin enthaltene Wissen haben konnte.
Schließlich, nachdem er seinem Vater versichert hatte, dass er sich das gesamte Werk lückenlos eingeprägt hatte, legten sie das Buch in ein Versteck zwischen den Felsen, wo sie es drei Jahre lang nicht anrührten. Nach Verstreichen dieser Zeit kehrten sie eines Herbsttages zurück – Richard war mittlerweile fast siebzehn – und holten das uralte Buch aus seinem Versteck.
Richard und sein Vater richteten ein Feuer an, auf das sie mehr als genug Holz schichteten, bis die enorme Hitze sie schließlich zurücktrieb. Dann überreichte sein Vater ihm das Buch und trug ihm auf, es den Flammen zu übergeben, sofern er sich seiner Sache sicher sei. Richard, das Buch der Gezählten Schatten im Arm, strich mit den Fingern über den dicken Ledereinband. Hier, in seinen Armen, hielt er nicht nur die Hoffnung seines Vaters, sondern die Hoffnung der gesamten Menschheit. Im Bewusstsein dieser ungeheuren Verantwortung warf er das Buch schließlich ins Feuer – und in diesem Moment endete unwiderruflich seine
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