Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
ignorierend, an ihn. »Rikka sagte, Ihr wolltet mich sprechen.«
»So ist es«, antwortete Ann an seiner Stelle. »Wo steckt Richard überhaupt?«
»Unten in dem Raum, von dem ich Euch erzählt habe, dem Raum zwischen den Schilden, wo er in Sicherheit ist. Er liest, sucht nach Informationen und tut eben, was ein Sucher tut, nehme ich an.« Nicci verschränkte übertrieben vorsichtig ihre Finger. »Demnach wolltet Ihr also mit mir über Richard sprechen.«
Nathan entfuhr ein kurzes Lachen, das sich, nach einem tadelnden Blick Anns, in ein klärendes Räuspern verwandelte. Zedd starrte, den anderen den Rücken zugewandt, noch immer schweigend aus dem Fenster.
»Ihr wart doch stets ein kluger Kopf«, begann Ann.
»Nun, für diese kleine Vermutung waren wohl kaum große denkerische Fähigkeiten vonnöten«, gab Nicci zurück, nicht gewillt, Ann diese plumpe Schmeichelei durchgehen zu lassen. »Wenn Ihr die Freundlichkeit hättet, Euch das Lob aufzusparen, bis ich es mir durch mein Tun verdient habe.«
Beide, Nathan wie auch Ann, lächelten. In Nathans Fall wirkte es sogar echt.
Zeit ihres Lebens hatten Nicci plumpe Schmeicheleien wie eine Pest verfolgt. »Nicci, du bist so ein kluges Kind, du musst dich mehr einbringen.« – »Nicci, du bist so wunderschön, das hübscheste Wesen, das ich je zu Gesicht bekommen habe, ich muss dich einfach in die Arme nehmen.« – »Nicci, meine Liebe, Ihr müsst mir einfach eine Kostprobe Eurer köstlichen Reize gewähren, denn sonst sterbe ich als armer Mann.« Derart leere Schmeicheleien klangen in ihren Ohren wie das Geräusch des Brecheisens in der Hand eines Diebes, der sie mit Gewalt ihres Hab und Guts zu berauben versuchte.
»Also, was kann ich für Euch tun?«, fragte sie in bewusst geschäftsmäßigem Ton.
Ann, die Hände immer noch in den gegenüberliegenden Ärmeln, zuckte mit den Achseln. »Wir müssen mit Euch über Richards bedauerlichen Zustand sprechen. Die Erkenntnis, dass er an einer Wahnvorstellung leidet, war ein ziemlicher Schock für uns.«
»Ich kann nicht behaupten, dass ich dem widersprechen möchte«, erwiderte Nicci.
»Habt Ihr irgendwelche Vorschläge?«
Nicci ließ ihre Finger über die polierte Oberfläche des prachtvollen Schreibtischs gleiten. »Vorschläge? Was genau meint Ihr damit?«
»Spielt nicht die Bescheidene«, antwortete Ann, deren nachsichtiger Unterton sekundenschnell verflog. »Ihr wisst sehr gut, was ich damit meine.«
Zu guter Letzt wandte sich Zedd um, offenbar gefiel ihm Anns Vorgehensweise nicht. »Wir machen uns seinetwegen große Sorgen, Nicci. Und zwar, das ist ganz richtig, wegen der Prophezeiung und weil sie besagt, dass er unsere Truppen anführen muss, und was sonst noch alles darin steht, aber …« Er hob eine Hand und ließ sie verzweifelt wieder fallen. »Aber vor allem gilt unsere Sorge Richard selbst. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm, ganz und gar nicht. Ich kenne ihn seit dem Tag, an dem er geboren wurde, ich habe viele Jahre mit ihm verbracht, allein und in Gesellschaft anderer. Ich war auf den Jungen so stolz, dass mir die Worte fehlen, es Euch zu beschreiben. Es war schon immer seine Art, bisweilen etwas verwirrende Dinge zu tun, Dinge, die mich oft enttäuscht und verwundert haben, aber noch nie habe ich ihn sich so benehmen sehen, noch nie erlebt, dass er derart verrückte Geschichten glaubt. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie sehr es mir zu schaffen macht, ihn so zu sehen.«
Nicci nahm ein Kratzen an der Stirn zum Vorwand, dem schmerzerfüllten Blick seiner haselnussbraunen Augen auszuweichen. Sein schlohweißes Haar wirkte noch wirrer als gewöhnlich, er selbst noch hagerer als sonst, ja geradezu ausgezehrt. Er wirkte wie ein Mann, der seit Wochen kaum ein Auge zugemacht hatte.
»Ich denke, ich kann nachvollziehen, wie Ihr Euch fühlt«, versicherte sie ihm, ehe sie nachdenklich tief durchatmete und langsam den Kopf zu schütteln begann. »Ich weiß nicht, Zedd, seit ich ihn an jenem Morgen fand, mühsam nach Atem ringend und fast schon in der Gewalt des Hüters, habe ich versucht, dahinterzukommen.«
»Ihr sagtet, er hätte eine Menge Blut verloren«, warf Nathan ein. »Und dass er tagelang ohne Bewusstsein gewesen sei.«
Nicci nickte. »Gut möglich, dass ihn diese verzweifelte Angst, womöglich aus Atemnot zu sterben, veranlasst hat, sich einen ihn liebenden Menschen zusammenzufantasieren – eine Art Ablenkungsmanöver zur eigenen Beruhigung. Ich habe mich früher ganz ähnlich
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