Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
nichts weiter als Teil einer Erfindung ist, hervorgerufen durch die wahnhafte Besessenheit eines Betörungsbanns.«
»Niemand außer mir erinnert sich, was passiert ist und dass Kahlan dort nicht begraben liegt. In meinen Augen ist das ein handfester Beweis – zumindest dafür, dass ich mir nicht alles einbilde.«
»Oder aber es ist Teil der Selbsttäuschung – was immer deren Ursache sein mag. Richard, so kann es nicht ewig weitergehen, irgendwann muss diese Geschichte zum Abschluss kommen. Du hast dich längst verrannt. Hast du überhaupt schon eine Idee, was du jetzt noch versuchen könntest?«
Er legte seine Hände auf die gemauerte Umrandung des Brunnens der Sliph. »Schaut, Nicci, ich gebe ja zu, dass mir allmählich die Ideen ausgehen, aber noch bin ich nicht bereit, Kahlan aufzugeben. Dafür bedeutet sie mir zu viel.«
»Und wie lange glaubst du noch durch die Gegend irren und sie nicht aufgeben zu können, während die Imperiale Ordnung unaufhaltsam auf unsere Truppen zumarschiert? Mir gefällt es ebenso wenig wie dir, dass Ann sich in unser Leben einmischt, aber sie tut es schließlich nicht aus Boshaftigkeit, sie tut es, weil sie die Freiheit erhalten will – um unschuldige Menschen davor zu bewahren, von brutalen Rohlingen abgeschlachtet zu werden.«
Richard schluckte den Kloß hinunter, der ihm in die Kehle gestiegen war.
»Ich muss über einige Dinge nachdenken und meine Gedanken ordnen. In dem Lesesaal dort hinten habe ich einige Bücher entdeckt, die ich mir eine Weile etwas näher ansehen möchte – nur eine Weile -, um die Dinge noch einmal zu durchdenken und vielleicht herauszufinden, was hier eigentlich gespielt wird und warum. Wenn ich dabei zu keinem Ergebnis komme – nun, dann werde ich mir eben überlegen müssen, wie ich weiter vorgehen will.«
»Und wenn du dabei wiederholt zu keinem Ergebnis kommst?«
Auf seine beiden Hände gestützt, starrte Richard in den dunklen Brunnen hinab und konnte nur mit größter Mühe seine Tränen zurückhalten.
»Bitte …«
Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe zu kämpfen, wenn es einen Feind gäbe, auf den er einprügeln könnte … aber gegen die Schatten, die sich über seinen Verstand gelegt hatten, wusste er kein Mittel.
Sachte legte Nicci ihm eine Hand auf die Schulter. »Schon gut, Richard. Es ist schon gut.«
55
Nicci klopfte an die oben abgerundete Eichentür und wartete; desgleichen die unmittelbar hinter ihr stehende Rikka.
»Herein«, war eine gedämpfte Stimme zu vernehmen.
Nicci fand, dass sie weniger nach Zedds, sondern vielmehr nach Nathans tiefer, volltönender Stimme klang. Drinnen in dem kleinen runden Zimmer, das Richards Großvater gern benutzte, sah sie den Propheten neben Ann stehen, die in geduldiger Erwartung ihres geladenen Gasts die Hände in die gegenüberliegenden Ärmel ihres einfachen grauen Kleides geschoben hatte. Nathan, in seiner dunkelbraunen Hose und hohen Stiefeln sowie dem weißen Rüschenhemd unter einem weiten Umhang, wirkte eher wie ein Abenteurer denn wie ein Prophet.
Ruhig, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stand Zedd vor einem runden, bleiverglasten Fenster zwischen den mit Glastüren versehenen Bücherschränken und schien gedankenversunken hinaus auf die tief unten am Fuß des Berges liegende Stadt Aydindril zu blicken. Die Aussicht war herrlich, Nicci konnte gut verstehen, warum er diesem gemütlichen Zimmer den Vorzug gab. Als Rikka sich anschickte, die massive Eichentür zu schließen, lenkte Ann, das geübte Lächeln einer Prälatin auf den Lippen, ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Rikka, meine Liebe, ich habe von all dem Rauch gestern, als dieses grauenhafte Geschöpf die Bibliothek in Brand setzte, noch immer eine ziemlich trockene Kehle. Würde es Euch etwas ausmachen, mir ein wenig Tee aufzubrühen, vielleicht mit einem Tropfen Honig darin?«
Die Hand noch an der halb geschlossenen Tür, zuckte Rikka mit den Achseln. »Ach wo, gar nicht.«
»Sind vielleicht auch noch von Euren Keksen welche übrig?«, erkundigte sich Nathan mit breitem Lächeln. »Sie waren ausgezeichnet, vor allem, als sie noch warm waren.«
Rikka bedachte alle Anwesenden mit einem kurzen Blick. »Gut, dann also Tee mit Honig und dazu ein paar Kekse.«
»Tausend Dank, meine Liebe«, flötete Ann, ohne dass ihr Lächeln auch nur einen Riss bekam, als Rikka durch die Tür verschwand.
Obwohl Zedd, der noch immer aus dem Fenster starrte, bislang geschwiegen hatte, wandte sich Nicci, Ann und Nathan
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