Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
schon etwas betagt, blickten sich kurz um, ehe sie die Bank entdeckten, die ein paar Schritte hinter ihnen vor der weißen Marmorwand stand. Sie strichen ihre Kleider glatt und ließen sich nebeneinander darauf nieder. Vor allem Tovi mit ihrem schweren Körper machte einen erschöpften Eindruck. Vom Knien mit der Stirn auf den Fliesen war ihr faltiges Gesicht rot angelaufen, während die stets auf ihr Äußeres bedachte Cecilia die sich ihr durch das Platznehmen auf der Bank bietende Gelegenheit nutzte, überflüssigerweise ihr ergrautes Haar zu richten.
Erleichtert angesichts der Gelegenheit, sich hinsetzen zu können, steuerte auch Kahlan auf die Bank zu.
»Du nicht«, fuhr Schwester Ulicia sie an. »Kein Mensch wird Notiz von dir nehmen. Stell dich einfach neben sie, damit ich dich besser im Auge behalten kann.« Sie hob bedrohlich eine Braue, um ihrer Warnung Nachdruck zu verleihen.
»Ja, Schwester Ulicia«, beeilte sich Kahlan zu erwidern.
Schwester Ulicia erwartete stets eine Antwort, wenn sie mit jemandem sprach, eine Lektion, die Kahlan erst schmerzhaft hatte lernen müssen. Sie hätte gewiss schneller geantwortet, wenn sie nach dem Hinweis, dass das Angebot, sich hinzusetzen, für sie nicht galt, nicht aufgehört hätte, richtig zuzuhören. Sie ermahnte sich, trotz ihrer Müdigkeit aufmerksamer hinzuhören, denn sonst würde sie sich erst einmal eine Ohrfeige und irgendwann später womöglich Schlimmeres einhandeln.
Aber Schwester Ulicia ließ sie nicht aus den Augen und erlaubte ihr auch nicht fortzusehen, sondern schob ihr die Spitze ihres robusten Eichenstabes unters Kinn und zwang sie, den Kopf zu heben.
»Der Tag ist noch nicht um; du musst noch immer deine Schuldigkeit tun. Und denk nicht einmal im Traum daran, mich irgendwie zu hintergehen. Hast du verstanden?«
»Ja, Schwester Ulicia.«
»Gut. Wir sind nämlich alle genauso müde wie du.«
Kahlan wollte schon einwenden, dass sie vielleicht müde sein mochten, aber immerhin doch geritten seien, während sie selbst stets zu Fuß mit den Pferden hatte Schritt halten müssen. Mitunter hatte sie sogar in Trab fallen oder laufen müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Schwester Ulicia war stets alles andere als erfreut gewesen, wenn sie ihr Pferd kehrtmachen lassen und umkehren musste, um ihre hinterherhängende Sklavin wieder aufzulesen.
Staunend blickte sich Kahlan nach all den im Korridor ausgestellten wundersamen Dingen um, bis ihre Neugier schließlich über ihre Vorsicht siegte und sie fragte: »Schwester Ulicia, was ist dies für ein Ort?«
Mit ihrem Eichenstab gegen ihre Hüfte klopfend, erfasste die Schwester mit einem kurzen Rundblick ihre Umgebung. »Der Palast des Volkes. Ein wahrhaft prachtvoller Ort. Dies ist das Zuhause des Lord Rahl.«
Sie wartete, offenbar, um abzuwarten, ob Kahlan etwas erwidern würde, doch Kahlan wusste nichts zu sagen. »Lord Rahl?«
»Du weißt schon, der Mann, zu dem wir eben gebetet haben. Richard Rahl, um genau zu sein. Er ist der derzeitige Lord Rahl.« Schwester Ulicias Blick verengte sich. »Hast du jemals von ihm gehört, Schätzchen?«
Kahlan überlegte angestrengt. Lord Rahl, Lord Richard Rahl. Ihr Geist schien leer. Nur zu gern hätte sie bestimmte Dinge gedacht, hätte sie sich erinnert, aber es wollte ihr nicht gelingen. Vermutlich gab es einfach nichts, an das sie sich hätte erinnern können.
»Nein, Schwester. Ich glaube nicht, dass ich jemals von diesem Lord Rahl gehört habe.«
»Nun«, erwiderte diese mit dem durchtriebenen Lächeln, das sie bisweilen an den Tag legte, »das hätte mich auch sehr gewundert. Wer bist du schließlich, ein Niemand. Ein Nichts, eine Sklavin.«
Kahlan unterdrückte den Drang, ihr zu widersprechen. Wie hätte sie das auch anstellen sollen? Was hätte sie dagegenhalten sollen?
Schwester Ulicias Grinsen wurde breiter. Es schien, als könnten ihre Augen bis auf den Grund ihrer Seele blicken. »Ist es vielleicht nicht so, Schätzchen? Du bist eine wertlose Sklavin, die sich glücklich schätzen kann, die milde Gabe einer Mahlzeit zu erhalten.«
Kahlan wollte etwas einwenden, wollte sagen, dass sie mehr war als das, dass ihr Leben wertvoll war und wert, gelebt zu werden, aber sie wusste, diese Dinge waren nur ein Traum. Sie war bis auf die Knochen müde. Und jetzt war ihr auch noch das Herz schwer.
»Ja, Schwester Ulicia.«
Sobald sie über sich selbst nachzudenken versuchte, war da nichts außer einem leeren Nichts. Ihr Leben schien so trist, so
Weitere Kostenlose Bücher