Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
wollte, konnte sie auf ganz unschuldige Weise bezaubernd wirken, zudem war sie attraktiv genug, um die Blicke der Männer auf sich zu ziehen.
Auf Kahlan achtete niemand.
»Hier«, zischte Schwester Ulicia. »Bleib hier stehen.«
Kahlan hielt an und starrte zu den beiden massiven Mahagonitüren auf der anderen Seite des Flurs hinüber, von wo aus ihr die in die Tür geschnitzten Schlangen entgegenblickten, deren hintere Enden sich um zwei in den oberen Türrand geschnitzte Äste wanden, von denen ihre Körper herabhingen, sodass ihre Köpfe sich etwa in Augenhöhe befanden. Aus ihren klaffenden Kiefern ragten spitze Fangzähne hervor, so als wären sie bereit, jeden Moment zu attackieren. Warum jemand eine Tür ausgerechnet mit Schnitzereien von solch abscheulichen Geschöpfen schmückte, überstieg Kahlans Begriffsvermögen. Alles andere in diesem Palast war von ausgesuchter Schönheit, nur diese beiden Türen nicht.
Schwester Ulicia schob sich ganz dicht neben sie. »Hast du dir deine Anweisungen genau gemerkt?«
Kahlan nickte. »Ja, Schwester.«
»Falls du noch Fragen hast, dies ist der Augenblick, sie zu stellen.«
»Nein, Schwester. Ich erinnere mich an alles, was Ihr mir aufgetragen habt.«
Manchmal fragte sich Kahlan, wie es kam, dass sie sich an bestimmte Dinge genau erinnerte, während andere wie von einem dichten Nebel verhüllt schienen.
»Und trödle nicht rum«, sagte Tovi.
»Nein, Schwester Tovi. Werde ich nicht.«
»Das, was du für uns holen sollst, benötigen wir dringend, aber vor allem kommt es darauf an, dass du dich nicht zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen lässt.« In Tovis Augen blitzte Bosheit auf. »Hast du das verstanden, Mädchen?«
Kahlan schluckte. »Ja, Schwester Tovi.«
»Wäre auch besser für dich«, setzte Tovi hinzu. »Wenn nicht, wirst du mir Rede und Antwort stehen, und das wird dir nicht gefallen, glaub mir.«
»Verstehe, Schwester Tovi.«
Sie wusste, wie todernst es ihr damit war. Für gewöhnlich war sie von vergleichsweise ruhigem Gemüt, aber wenn man sie provozierte, konnte sie im Nu bösartig werden, schlimmer noch, hatte sie erst einmal angefangen, genoss sie es, sich an den hilflosen Qualen anderer zu weiden.
»Dann also los«, drängte Schwester Ulicia. »Und denk daran, du darfst mit niemandem sprechen. Sollte dich einer der Soldaten dort vorne ansprechen, beachte ihn ganz einfach nicht. Sie werden dich nicht weiter behelligen.«
Der Blick in Schwester Ulicias Augen ließ Kahlan stutzen. Sie nickte kurz, dann entfernte sie sich mit zügigen Schritten den Flur entlang. Ihre Erschöpfung war vergessen, und sie wusste, was sie zu tun hatte, vor allem wusste sie, dass sie sich andernfalls großen Ärger einhandeln würde.
An der Tür angelangt, packte sie einen Knauf, der einem grinsenden Totenschädel nachempfunden, allerdings aus Bronze war, und musste ihre ganze Kraft aufbieten, um die schwere Tür aufzuziehen. Dabei vermied sie es ganz bewusst, die Schlangen anzusehen.
Drinnen blieb sie kurz stehen, um ihren Augen Gelegenheit zu geben, sich an das trübe Licht der Lampen zu gewöhnen. Die dicken, in Gold- und Blautönen gehaltenen Teppiche dämpften jedes Geräusch im Raum und verhinderten das Entstehen eines Echos, wie es in den meisten Fluren vorkam. Der persönliche Raum, ganz im gleichen Mahagoni getäfelt, aus dem auch die Türen bestanden, erschien ihr in dem ansonsten so geräuschvollen Palast wie eine stille Zuflucht.
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, wurde ihr bewusst, dass sie endlich vollkommen von der Gesellschaft der vier Schwestern befreit war. Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann dies zuletzt der Fall gewesen war, eine der Schwestern schien immer ein Auge auf sie zu haben, auf ihre Sklavin. Dabei wusste sie gar nicht, warum sie sie unter so strenger Bewachung hielten, sie hatte nie einen Fluchtversuch unternommen. Mehrfach hatte sie ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, aber der war nie so weit gediehen, dass sie es tatsächlich versucht hätte.
Andererseits erzeugte der bloße Gedanke, den Schwestern fortzulaufen, einen derart entsetzlichen Schmerz, dass sie das Gefühl hatte, das Blut sickere ihr aus den Ohren und ihre Augen müssten jeden Moment zerplatzen. Sobald sie daran dachte, die Schwestern zu verlassen – während der Schmerz sie dann mit seiner ungeheuren Heftigkeit fast zu erdrücken drohte -, war es ihr unmöglich, den Gedanken wieder schnell genug aus ihrem Kopf zu verbannen, und selbst wenn es
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