Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
Auseinandersetzung, auf die er sich am besten gar nicht erst einließ, und so erklärte er sich stattdessen mit einem Nicken einverstanden. Cara, die offenkundig bereit gewesen war, sich im Falle eines Widerspruchs sofort auf Niccis Seite zu schlagen, kehrte der kleinen Lücke in den Zweigen, durch die sie die beiden beobachtet hatte, wieder den Rücken zu.
Unterdessen war das Schnarren, das in der aufkommenden Dunkelheit von allen Seiten zu kommen schien, zu einem schrillen Zirpen angeschwollen. Jetzt, da die mühevollen Arbeiten zur Errichtung des Unterschlupfes abgeschlossen waren, war das Getöse kaum noch zu überhören – der ganze Wald schien von hektischer Betriebsamkeit nur so zu wimmeln. Schließlich bemerkte es auch Nicci und hielt inne, um sich umzusehen.
Ihre Stirn legte sich in Falten. »Was ist das eigentlich für ein Lärm?«
Richard pflückte eine leere Haut vom Stamm eines Baumes. Überall im ganzen Wald waren die Stämme mit den blassbraunen, daumengroßen Hülsen bedeckt.
»Zikaden.« Richard schmunzelte, als er die zarte Haut des Tieres, das einst darin gelebt hatte, in seine Handfläche rollen ließ. »Das ist alles, was übrig bleibt, nachdem sie sich gehäutet haben.«
Nicci warf einen flüchtigen Blick auf die leere Hülse in seiner Hand, dann ließ sie ihre Augen über ein paar andere schweifen, die ringsum an den Bäumen hafteten. »Auch wenn ich den größten Teil meines Lebens in Ortschaften und Städten sowie in geschlossenen Räumen verbracht habe, seit dem Verlassen des Palasts der Propheten war ich auch viel draußen in der freien Natur. Diese Insekten kommen bestimmt ausschließlich in diesen Wäldern vor, ich kann mich nämlich nicht erinnern, sie jemals zuvor gesehen oder gehört zu haben.«
»Das wäre auch schlecht möglich gewesen. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war ich noch ein kleiner Junge. Diese Zikadenart kommt alle siebzehn Jahre aus dem Boden hervor, und dies ist der erste Tag, an dem sie zu schlüpfen beginnen. Sie werden nur wenige Wochen zu sehen sein, nämlich während sie sich paaren und ihre Eier ablegen, danach werden wir sie für die nächsten siebzehn Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
»Tatsächlich?« Sofort erschien Caras Kopf wieder in der Lücke. »Alle siebzehn Jahre?« Sie ließ sich das einen Moment durch den Kopf gehen, dann schaute sie hoch zu Richard. »Trotzdem sollten sie uns besser nicht länger wach halten.«
»Wegen ihrer ungeheuren Zahl erzeugen sie ein wahrhaft unvergessliches Geräusch. Wenn unzählige dieser Zikaden gleichzeitig zirpen, so wie jetzt, kann man das harmonische An- und Abschwellen ihres Gesangs manchmal wie eine Welle durch den Wald gehen hören. Zunächst erscheint einem ihr Zirpen in der nächtlichen Stille ohrenbetäubend, aber ob Ihr es glaubt oder nicht, nach einer Weile hat es tatsächlich sogar eine einschläfernde Wirkung.«
In der zufriedenen Gewissheit, dass die Insekten ihren Schützling nicht wach halten würden, verschwand Cara wieder im Unterschlupf.
Richard erinnerte sich, wie erstaunt er gewesen war, als Zedd ihm bei einem Spaziergang durch den Wald die frisch geschlüpften Kreaturen gezeigt und ihm alles über ihren siebzehnjährigen Lebenszyklus erzählt hatte. Jetzt überkam ihn eine Woge tiefer Traurigkeit, denn diese unschuldige Zeit seines Lebens war für immer vorbei. Als kleiner Junge war ihm das Schlüpfen der Zikaden so ziemlich als das erstaunlichste Phänomen erschienen, das er sich hatte vorstellen können, und siebzehn Jahre bis zu ihrer Rückkehr zu warten erschien ihm als die schwerste Aufgabe, die er jemals würde bewältigen müssen. Und nun waren sie tatsächlich zurückgekehrt – und er war ein erwachsener Mann. Er warf die leere Hülse fort.
Richard legte seinen durchnässten Umhang ab, kroch hinter Nicci nach drinnen und zog die Zweige zusammen, um die Eingangsöffnung ihres behaglichen Unterschlupfes zu verschließen. Die dichten Zweige dämpften den schrillen Gesang der Zikaden etwas, und kurz darauf ließ ihn das unablässige Gesumm schläfrig werden.
Zu seiner Freude stellte er fest, dass die Balsamtannenzweige den Regen wirkungsvoll abhielten, sodass es in dem höhlenartigen Unterschlupf, wenn schon nicht warm, so doch wenigstens trocken blieb. Sie hatten ein Bett aus Zweigen über den nackten Boden gelegt, um eine vergleichsweise weiche und trockene Fläche zu erhalten, auf der es sich schlafen ließ.
Richard sehnte sich nach einem heißen Bad und hoffte,
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