Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
ausweglosen Situationen selbst befreien können.«
Nicci musterte ihn mit dem für sie typischen Blick, der einen zu zerlegen schien, und plötzlich wurde ihm auch klar, warum. Es lag mitnichten nur an seinen Äußerungen über Magie, er hatte wieder angefangen, von Kahlan zu sprechen, der Frau, die gar nicht existierte, der Frau, die er sich zusammenfantasiert hatte. Auch Caras Miene verriet ihre stumme Besorgnis.
»Wie auch immer«, kehrte Richard zum springenden Punkt zurück. »Dass Jagang nicht die Gabe besitzt, bedeutet noch lange nicht, dass er sich nicht irgendetwas – Albträume, wie zum Beispiel diesen Nicholas – zusammenfantasieren kann. Gerade dieser originelle Einsatz der Fantasie ist es, durch den die mörderischsten Dinge erschaffen werden, gegen die alle herkömmlichen Mittel womöglich nutzlos sind. Meiner Meinung nach könnte dies sogar die Methode gewesen sein, mit deren Hilfe die Zauberer in früherer Zeit überhaupt erst Menschen in Waffen verwandelt haben.«
Nicci war innerlich so aufgewühlt, dass sie kaum noch an sich halten konnte.
»So funktioniert Magie ganz einfach nicht, Richard. Man kann sich nicht einfach irgendwas zusammenfantasieren, was man gern hätte, sich irgendwas wünschen. Wie alle anderen Dinge auch funktioniert Magie gemäß den Gesetzen ihrer Natur. Eine Laune macht aus einem Baum noch keine Bretter, man muss ihn schon in der gewünschten Form zurechtschneiden. Und wenn man ein Haus will, genügt es nicht, sich zu wünschen, die Ziegelsteine und Bretter mögen sich zu einem Bauwerk zusammenfügen, man muss schon seine Hände benutzen, um das Gebäude zu errichten.«
Richard beugte sich zu der Hexenmeisterin hinüber. »Richtig, aber es ist die menschliche Fantasie, die diese konkreten Handlungen nicht nur ermöglicht, sondern auch ihren Erfolg garantiert. Die meisten Baumeister denken in bereits bestehenden Begriffen, sie wiederholen, was auch früher schon gemacht wurde, eben weil man es nicht anders kannte. Meist sind sie zu bequem, um nachzudenken, und machen sich deshalb kein Bild von etwas Größerem. Sie beschränken sich auf das Althergebrachte und führen als Entschuldigung an, es müsse eben so gemacht werden, weil es schon immer so gemacht wurde. Mit Magie verhält es sich meist ebenso – die mit der Gabe Gesegneten wiederholen, was sie von früher kennen, weil sie – aus keinem anderen Grund als dem, dass es immer schon so gemacht wurde – glauben, so müsse es gemacht werden.
Doch ehe ein prachtvoller Palast errichtet werden kann, muss jemand, der kühn genug ist, eine Vision des Möglichen zu wagen, zuvor ein geistiges Bild von ihm entworfen haben. Ein Palast entsteht nicht einfach spontan zur allgemeinen Überraschung, obwohl die Arbeiter ursprünglich nur ein einfaches Haus errichten wollten. Allein der bewusste Akt geistiger Schöpfung ist imstande, Dinge Wirklichkeit werden zu lassen.
Damit nun dieser Akt kreativer Fantasie zur Verwirklichung eines Palasts führen kann, darf er unter keinen Umständen die Gesetze über die Natur der dabei verwendeten Dinge verletzen. Im Gegenteil, wer sich mit dem Ziel, einen Palast entstehen zu lassen, ein geistiges Bild von diesem Werk macht, muss über präzise Kenntnis aller Dinge verfügen, die er bei dem Bau zu verwenden gedenkt, denn sonst wird der Palast in sich zusammenstürzen. Seine Kenntnisse vom Wesen der verwendeten Materialien müssen sehr viel ausgeprägter sein als bei jemandem, der sie nur für den Bau eines einfachen Hauses verwendet. Es geht also nicht darum, sich etwas zu wünschen, das die Gesetze der Natur sprengt, sondern es geht um originelles, auf den Gesetzen der Natur basierendes Denken.«
Nicci hatte sich von seinen Ausführungen offenbar nicht nur mitreißen lassen, sondern schien mit aufrichtigem Interesse über seine Worte nachzudenken. »Soll das etwa heißen, deiner Meinung nach könnte eine Kunstform auch etwas so Bedeutsames wie die Funktionsweise von Magie gestalten?«
Über Richards Lippen ging ein Lächeln. »Nicci, damals, bevor ich die Statue in Altur’Rang schuf, wart Ihr nicht einmal fähig, die Wichtigkeit des Lebens zu begreifen. Erst als Ihr diesen Gedanken in greifbarer Form vor Euch saht, konntet Ihr endlich all das, was Ihr zeit Eures Lebens gelernt hattet, zu einem Ganzen fügen und seine Bedeutung erfassen. Ein Kunstwerk hatte Euch in der Seele berührt – genau das meine ich, wenn ich sage, eine wichtige Funktion großer Werke besteht stets in der
Weitere Kostenlose Bücher