Das Schwert des Königs - Dark City ; 3
genauso fasziniert anstarrte wie er ihn. «Wir haben ihn gefunden.»
«Nicht wir haben ihn gefunden», verbesserte der König, und seine alten Augen glänzten, «sondern er uns. Arlo. Zukünftiger König von Shaíria.» Er sah auf zu den Dienern. «Geht! Verkündet im ganzen Land, dass der Himmel uns heute Nacht einen Sohn geschenkt hat! Alle Welt soll sich mit uns freuen und seinen Namen erfahren, den Namen des Thronerben Shaírias: Arlo.»
Noch ahnte niemand, welch große Aufgabe dieser kleine Findelprinz einst würde erfüllen müssen. Und noch ahnte niemand, welch bedeutende Rolle ein weiterer Prinz in der Geschichte Shaírias spielen würde; ein Prinz, der nur vier Jahre später im königlichen Palast geboren wurde – und das, obwohl alle geglaubt hatten, die Königin wäre unfruchtbar. Und so kam es, dass Prinz Arlo einen kleinen Bruder bekam.
Sein Name war Drakar.
2
Dreizehn Jahre nach Drakars Geburt.
«Arlo!»
Der dreizehnjährige Drakar stürmte durch den Palastgarten und blieb direkt vor einer steinernen Bank stehen, auf der sein siebzehnjähriger Bruder saß und in ein dickes Buch vertieft war. Prinz Drakar trug eine braune Tunika, mit einer Kordel zusammengehalten, darunter weite Beinkleider und hohe Wildlederstiefel. Drakar war ein mittelgroßer, schlaksiger Junge mit einem bleichen, kantigen Gesicht und einer hohen Stirn. Sein schwarzes Haar war stets zerzaust, und seine kleinen schwarzen Augen saßen tief und schienen ständig auf der Suche nach etwas Aufregendem zu sein.
«Komm mit! Ich muss dir etwas zeigen!»
Arlo blätterte eine Seite um und las seelenruhig weiter. Er war groß und schlank und hatte im Gegensatz zu seinem Bruder eher weiche Gesichtszüge. Er hatte schulterlanges braunes Haar und blaue Augen von der Farbe eines Bergsees. Der Prinz trug eine dunkelblaue Tunika aus Samt mit goldbestickter Borte.
«Nicht jetzt, Drakar», sagte er, ohne aufzusehen. «Ich bin am Lesen.»
«Ach komm, Bruderherz. Du bist doch immer am Lesen.»
Drakar knuffte Arlo in den Arm und versuchte ihn von der Bank wegzuzerren. «Wie oft hast du das Wort schon durchgelesen? Fünfmal? Zehnmal?»
Arlo klappte das Buch der Prophetie zu und sah seinen jüngeren Bruder von der Seite an. «Im letzten oder in diesem Monat?»
Drakar verdrehte die Augen. «Siehst du, das ist es, wovon ich spreche. Genau das. Du sitzt hier den ganzen Tag und sinnst über dem Wort nach und merkst gar nicht, wie das Leben an dir vorbeizieht. Ich sag dir: Eines Tages wirst du als einsamer Greis aufwachen und all das Schöne und Spannende in dieser Welt verpasst haben. Wetten? Ich meine, es gibt doch noch andere Dinge im Leben als dieses Buch.»
Arlo fuhr mit den Fingern über den abgegriffenen Ledereinband. «Aber nichts ist so faszinierend», murmelte er wie zu sich selbst.
Drakar pflückte zwei Äpfel von einem Baum, reichte seinem Bruder einen davon, rieb den andern Apfel an seinem Hemd glänzend und biss herzhaft hinein.
«Was ist es denn, das dich so daran fasziniert, Brüderchen? Was ist es?»
«Es sind Worte, gefüllt mit Geist und Leben», antwortete Arlo und drehte den Apfel zwischen den Fingern. «Ein Apfel vermag deinen Hunger nur für kurze Zeit zu stillen. Das Wort aber kann deinen Hunger für immer stillen.»
Drakar zog den Mund schief. «Du bist ein Träumer. Ich werde dich wohl nie ganz verstehen, Brüderchen», sagte er zwischen zwei Bissen. Dann packte er Arlo ungeduldig an der Tunika. «Komm jetzt! Ich hab was, das du unbedingt sehen musst!»
«Eine neue Erfindung?»
«Du wirst staunen, Bruderherz», sagte Drakar und riss seine kleinen Augen bedeutungsvoll auf, «du wirst staunen.»
«Wie letztes Mal, als du Mutters Abendkleid in Brand gesteckt hast?», lachte Arlo, packte das Buch der Prophetie in eine Ledertasche und hängte sie sich schräg über die Schulter.
«Das war ein unglückliches Versehen», rechtfertigte sich Drakar mit erhobenem Zeigefinger. «Das Eisen war zu heiß geworden. Ich hab nur nicht die richtige Temperatur hingekriegt. Beim nächsten Mal funktioniert’s, ich sag’s dir. Durch Hitze und Druck kann man Kleider glätten.»
«Ja, oder verbrennen», ergänzte Arlo, «zudem: Wer will denn schon seine Kleider glätten?»
Darauf gab ihm Drakar keine Antwort. Er war bereits davongeeilt.
«Wo gehen wir hin?», rief Arlo seinem übermütigen Bruder nach.
«Keine Sorge, bis zum Abendessen sind wir wieder da!», rief Drakar vergnügt zurück. «Dann kannst du deine Nase wieder in dein
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