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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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einen Saal, der mir noch nicht aufgefallen war, ein hölzernes Blockhaus, das versteckt zwischen Bäumen lag. Es hatte keine Fenster und nur einen einzigen Eingang. Als Fackeln hineingetragen wurden, sah ich, daß der Raum bis auf die geflochtenen Grasmatten am Fußboden völlig kahl und im Verhältnis zur Breite so lang war, daß er schier wie ein Korridor wirkte.
    Abundantius erläuterte: »Hier wird dein Kampf mit Decuman stattfinden.« Er zeigte auf den Mann, dessen Armnerven ich betäubt hatte und für den diese Wahl wohl ein wenig überraschend kam. »Du hast ihn beim Feuer bezwungen. Nun muß er dich bezwingen, wenn er kann. Du darfst hier bei der Tür sitzen, damit du dir gewiß sein kannst, daß wir nicht eindringen und ihm zur Hilfe eilen können. Er wird im hinteren Ende Platz nehmen. Ihr dürft euch einander nicht nähern oder anfassen, wie du ihn beim Feuer angefaßt hast. Ihr müßt euren Zauber wirken, und morgen früh werden wir kommen und nachsehen, wer gesiegt hat.«
    Indem ich den kleinen Severian bei der Hand nahm, führte ich ihn zum hinteren Ende dieses dunklen Saales. »Ich will hier sitzen«, erklärte ich. »Ich bin voller Zuversicht, daß ihr Decuman nicht zur Hilfe eilen werdet, und ihr könnt nicht wissen, ob nicht Verbündete von mir draußen im Dschungel lauern. Ihr habt mir Vertrauen entgegengebracht, also will auch ich euch vertrauen.«
    »Es wäre besser«, meinte Abundantius, »wenn du das Kind in unserer Obhut ließest.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich brauch’ ihn an meiner Seite. Er ist mein, und als ihr ihn mir auf dem Weg geraubt habt, habt ihr mich zur Hälfte meiner Macht beraubt. Ich dulde nicht, wieder von ihm getrennt zu werden.«
    Nach einer Weile nickte Abundantius. »Wie du willst. Wir wollten nur, daß ihm kein Unheil geschehe.«
    »Ihm wird kein Unheil geschehen«, versicherte ich.
    Es waren an den Wänden eiserne Halterungen angebracht, in die vier der nackten Männer vor dem Hinausgehen ihre Fackeln steckten. Decuman hockte sich mit gekreuzten Beinen vor die Tür und legte sich seinen Stab über den Schoß. Auch ich setzte mich und zog den Knaben an mich. »Ich hab’ Angst«, schluchzte er und vergrub das Gesichtchen in meinem Mantel.
    »Dazu hast du jedes Recht. Die letzten drei Tage waren für dich keine guten.«
    Decuman hatte mit einem langsamen, rhythmischen Singsang begonnen. »Kleiner Severian, erzähl mir doch, was auf dem Weg mit dir geschehen ist! Als ich mich umblickte, warst du verschwunden.«
    Nach allerlei tröstenden Worten und gutem Zureden verstummte sein Geschluchze schließlich. »Sie kamen raus – die dreifarbigen Männer mit den Klauen, und ich bekam Angst und lief davon.«
    »Das ist alles?«
    »Und dann kamen mehr dreifarbige Männer und fingen mich ein und steckten mich in ein Loch im Boden, wo es dunkel war. Dann weckten sie mich und trugen mich hinauf, und ich stand unter dem Mantel eines Mannes. Dann bist du gekommen und hast mich genommen.«
    »Hat dir niemand Fragen gestellt?«
    »Ein Mann im Dunkeln.«
    »Schon gut. Kleiner Severian, du darfst nie wieder fortlaufen – so wie auf dem Weg, verstanden? Lauf nur, wenn ich auch laufe. Wenn du nicht fortgelaufen wärst, als wir den dreifarbigen Männern begegneten, dann wären wir jetzt nicht hier.«
    Der Knabe nickte.
    »Decuman«, rief ich. »Decuman, können wir etwas sprechen?«
    Er beachtete mich nicht, außer daß vielleicht sein Gemurmel ein bißchen lauter wurde. Er hatte den Kopf zurückgeworfen, als starrte er auf die Dachsparren, die Augen allerdings geschlossen.
    »Was macht er?« fragte der Knabe.
    »Er wirkt einen Zauber.«
    »Wird er uns was tun?«
    »Nein«, versicherte ich. »Ein solcher Zauber ist meistens ein Schwindel – denk nur daran, wie man dich durch eine Öffnung gehoben hat, damit es so aussähe, als hätte dich jemand unter seiner Robe erscheinen lassen.«
    Dennoch wurde ich, noch während ich sprach, gewahr, daß noch etwas hier war. Decuman konzentrierte seine Gedanken auf mich, wie nur wenige das vermögen, und mir war zumute, als stünde ich nackt an einem hellen Ort, wo tausend Augen mich musterten. Eine der Fackeln flackerte, tropfte und erlosch. Während das Licht im Saal düsterer wurde, schien das Licht, das ich nicht sehen konnte, greller zu werden.
    Ich erhob mich. Es gibt Tötungsarten, die keine Spur hinterlassen, und ich überdachte diese, während ich voranschritt.
    Unverzüglich drangen zu beiden Seiten zwei Ellen weit Speere aus den Wänden

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