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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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als die Tür war und eine und noch eine Biegung machte, ehe ich ein halbes Dutzend Schritte zurückgelegt hatte. Zunächst glaubte ich, der winklige Gang sei schlicht deshalb so angelegt, um kein Tageslicht in die Maueröffnung jener Kammer, worin ich festgehalten worden war, einfallen zu lassen. Aber dafür wären nicht mehr als drei Biegungen erforderlich gewesen. Die Wände verliefen offenbar gekrümmt und verzweigt; trotzdem verblieb ich in undurchdringbarer Finsternis. Abermals holte ich die Klaue hervor.
    Wohl wegen der beengten Verhältnisse wirkte sie nun etwas heller; aber bis auf das, was meine Hände mir schon verraten hatten, konnte ich nichts erkennen. Ich war allein. Ich stand in einem Labyrinth aus Erdmauern und einer Decke (nun unmittelbar über meinem Kopf) aus rohen Stämmen; die engen Biegungen ließen das Licht erst gar nicht zur Wirkung kommen.
    Ich wollte gerade die Klaue wieder wegstecken, als mir ein zugleich stechender und fremdartiger Geruch ins Gesicht schlug. Nun ist meine Nase keineswegs so fein wie die der Wölfin aus der Geschichte – ich habe eher einen schlechteren Geruchssinn als die meisten Leute. Zwar kam mir der Gestank vertraut vor, aber erst nach einer Weile erkannte ich ihn als den gleichen, den ich am Morgen unserer Flucht im Vorzimmer gerochen hatte, als ich nach dem Gespräch mit dem kleinen Mädchen zu Jonas zurückkehrte. Es hatte gesagt, irgendein unerkannter Sucher habe die Gefangenen dort beschnüffelt, und ich hatte eine klebrige Schleimspur auf dem Boden und an der Wand, wo Jonas gelegen hatte, entdeckt.
    Daraufhin steckte ich die Klaue gar nicht erst in ihr Säckchen zurück; aber obschon ich mehrmals auf eine stinkende Fährte stieß, während ich durch die wirren Gänge wanderte, bekam ich nie die Kreatur zu Gesicht, von der sie stammte. Nachdem ich wohl eine ganze Wache lang umhergeirrt war, gelangte ich zu einer Leiter, die in einen kurzen, offenen Schacht führte. Das taghelle Viereck am oberen Ende blendete und entzückte mich zugleich. Eine Zeitlang bestaunte ich es, ohne auch nur einen Fuß auf die Leiter zu setzen. Wenn ich hinaufstiege, würde man mich wohl sofort festnehmen; dennoch war ich inzwischen so hungrig und durstig, daß ich nicht davon lassen konnte, und beim Gedanken an das garstige Ungetüm, das mir auf der Spur war – es handelte sich gewiß um eins von Hethors Tierchen –, wollte ich am liebsten auf der Stelle hinaufstürmen.
    Schließlich kletterte ich vorsichtig empor und streckte den Kopf aus dem Schacht. Ich befand mich nicht (wie vermutet) im Dorf, das ich gesehen hatte; das Stollengewirr hatte mich ein Stück darüber hinaus zu einem Geheimausgang geführt. Die großen, stillen Bäume standen hier dichter, und das Licht, das ich so strahlend empfunden hatte, war der schattige grüne Schein ihrer Laubkronen. Ich kletterte hinaus durch ein Loch zwischen zwei Wurzeln, wie sich herausstellte – eine so unauffällige Öffnung, daß man sie aus nächster Nähe übersehen hätte. Ich wollte sie mit etwas Schwerem bedecken, um die Flucht der Kreatur, die mich verfolgte, zu verhindern oder zumindest zu behindern, aber es war kein geeigneter Felsbrocken oder anderer Gegenstand zur Hand.
    Ich bediente mich des alten Kunstgriffs, das Gefälle im Auge zu behalten und stets bergab zu gehen, wodurch ich bald an einen Bach gelangte. Darüber war ein kleines Stück freien Himmels, und anhand meiner Beobachtung mußte der Tag zu acht oder neun Wachen verstrichen sein. Es war nicht schwer zu erraten, daß das Dorf nicht weit von dem frischen Wasser, das ich gefunden hatte, entfernt sein könnte, so daß ich auch dieses bald gefunden hatte. In meinen rußschwarzen Mantel gehüllt, beobachtete ich es eine Weile von einer schattigen Stelle aus. Einmal überquerte ein Mann – nicht bemalt wie diejenigen, die uns auf dem Weg angehalten hatten – die Lichtung. Ein andermal verließ jemand die hängende Hütte, ging zur Quelle, um zu trinken, und kehrte in das Haus zurück.
    Es dämmerte schon, als das wunderliche Dorf erwachte. Ein Dutzend Männer verließen die hängende Hütte und machten sich daran, in der Mitte der Lichtung Holz aufzuschichten. Drei weitere, in Roben gehüllt und einen gegabelten Stab tragend, kamen aus dem Baumhaus. Wieder andere, die wohl die Wege bewacht hatten, tauchten bald aus den Schatten auf, nachdem das Feuer entfacht war, und breiteten ein Tuch davor aus.
    Einer der Robenträger stand mit dem Rücken zum Feuer, während die

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