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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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zertreten worden, obwohl ich mir keinen Grund dafür vorstellen konnte. Ich entdeckte viele Fußspuren auf dem Pfad, der vorher glatt (vielleicht glatt geharkt) gewesen war.
    »Was suchst du?« wollte der Knabe wissen.
    Ich antwortete im Flüsterton, denn noch war ich mir nicht ganz sicher, ob wir nicht belauscht wurden. »Den Schleim des Tiers, vor dem wir in der letzten Nacht geflohen sind.«
    »Siehst du ihn?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Eine Zeitlang blieb der Knabe stumm. Dann sagte er: »Großer Severian, woher ist es gekommen?«
    »Erinnerst du dich an die Geschichte? Von einem der Berge jenseits der Gestade der Urth.«
    »Wo Frühlingswind gelebt hat?«
    »Ich glaub’ nicht, daß es derselbe war.«
    »Wie ist es hierher gekommen?«
    »Ein böser Mann brachte es mit«, erklärte ich ihm. »Und nun sei eine Weile still, kleiner Severian.«
    Wenn ich dem Knaben gegenüber kurz angebunden war, dann deshalb, weil mich derselbe Gedanke quälte. Hethor mußte seine Tierchen an Bord des Schiffes geschmuggelt haben, auf dem er diente, das schien mir recht klar; und als er mir aus Nessus folgte, hätte er die Notulen leicht in einem kleinen, dichten Behälter bei sich tragen können – denn so gräßlich sie auch waren, sie waren nicht dicker als Seidenpapier, wie Jonas gewußt hatte.
    Aber wie stand es mit der Kreatur, die wir im Prüfungssaal erlebt hatten? Sie tauchte auch im Vorzimmer des Hauses Absolut auf, nachdem Hethor erschienen war, aber wie? Und war sie Hethor und Agia wie ein Hund gefolgt auf ihrer Reise ins nördliche Thrax? Ich rief mir ins Gedächtnis zurück, wie ich sie gesehen hatte, als sie Decuman tötete, und versuchte, ihr Gewicht zu schätzen: sie mußte so schwer wie mehrere Männer und vielleicht sogar so schwer wie ein Streitroß sein. Ein großer Wagen wäre zum unauffälligsten Transport erforderlich. Hatte Hethor einen solchen Wagen durch das Gebirge gelenkt? Das konnte ich nicht glauben. Hatte das schleimige Ungetüm, das wir gesehen hatten, einen solchen Wagen mit dem Salamander geteilt, den ich in Thrax vernichtet hatte? Auch das konnte ich nicht glauben.
    Als wir das Dorf erreichten, wirkte es verlassen. Einige Teile des Prüfungssaals standen noch und schwelten. Ich suchte dort vergeblich nach den Überresten von Decuman, obgleich ich seinen halb verbrannten Stab fand. Er war hohl und innen so glatt, daß sich folgern ließ, mit abgenommener Spitze hätte er sich als Blasrohr für Giftpfeile verwenden lassen. Gewiß wäre er zum Einsatz gekommen, hätte ich mich als zu widerstandsfähig gegenüber dem Zauber, den er wirkte, erwiesen.
    Der Knabe folgte meinem Gedankengang wohl anhand meines Mienenspiels und meiner Blickrichtung. Er sagte: »Dieser Mann war wirklich ein Wunderwirker. Er hätte dich schon das Wundern gelehrt.«
    Ich nickte.
    »Du sagtest, sie sei nicht echt, die Zauberei.«
    »In manchen Dingen, kleiner Severian, bin ich nicht klüger als du. Ich hielt sie nicht für echt. Ich habe soviel Schwindel erlebt – die Geheimtür in die unterirdische Kammer, worin sie mich festhielten, die Art, wie sie dich unter der Robe eines anderen erscheinen ließen. Dennoch gibt es überall dunkle Dinge, und wer lange genug nach ihnen sucht, wird wohl zwangsläufig ein paar davon finden. Dann wird er ein richtiger Zauberer oder Wunderwirker, wie du sagst.«
    »Wer wirklich was von der Magie versteht, könnte allen sagen, was sie zu tun hätten.«
    Ich habe dazu nur den Kopf geschüttelt, inzwischen aber viel darüber nachgedacht. Es scheint mir, daß zwei Gründe gegen den Gedanken des Knaben sprechen, obwohl er in einer ausgereifteren Form durchaus überzeugender wäre.
    Der erste ist, daß von den Magikern wenig Wissen von einer Generation zur nächsten weitergereicht wird. Meine eigene Ausbildung ist die in der grundlegendsten aller angewandten Künste, wie sie sich nennen ließe; und dadurch weiß ich, daß der Fortschritt in der Wissenschaft viel weniger von theoretischen Erwägungen oder systematischer Erforschung abhängt, als allgemein vermutet wird, sondern eigentlich von der Übermittlung verläßlicher Informationen, die durch Zufall oder Einsicht gewonnen werden, von einer Gruppe zu ihren Nachfolgern. Menschen, die dunklem Wissen nachjagen, haben naturgemäß den Drang, es sogar im Tode zu horten oder es so verschlüsselt und durch eigennützige Lügen entstellt weiterzureichen, daß es von geringem Wert ist. Hin und wieder hört man von jenen, die ihre Geliebten oder

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