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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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ersetzt von den hohen Türmen der Moscheen. Es fiel mir erst auf, als Hugo davon sprach. Ich konnte sehen, dass ihm das Angst machte. Er hatte nicht so viel Glück gehabt wie ich, man hatte ihn während der Schiffsreise unter Deck eingesperrt, und er hatte von den wenigen Häfen, an denen sein Schiff angelegt hatte, nichts gesehen. Für ihn musste die Veränderung so plötzlich gekommen sein wie ein schwerer Frost an einem heißen Augusttag.
    »Warum gibt es hier keine Christen?«, fragte er eines Abends.
    Diego dachte lange über eine Antwort nach, bevor er sagte: »Weil Saladins Armeen alle vertrieben, getötet oder versklavt haben, so wie es die Christen vor ihm mit Moslems und Juden taten.«
    Danach hielt sich Hugo noch mehr von den Menschen fern, denen wir begegneten, und aß nichts von den Speisen, die sie uns anboten. Ich lernte Datteln kennen, Feigen und Okra, so viele Pflanzen und Gewürze, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte. Hugo aß nichts außer Fleisch, Brot und ein wenig Käse, lehnte alles andere ab. Er war ein Stück Winetre inmitten des Heiligen Landes.
    »Im Sommer gibt es hier nur Wüste«, sagte Diego, als wir an einem Olivenhain rasteten. »Aber im Winter ist es wunderschön.«
    Hugo verzog das Gesicht und schwieg. Seit wir ihn gefunden hatten, widersprach oder ignorierte er Diego. Er musste von unserer – ich suchte nach einem Wort für das, was Diego und ich hatten: Liebschaft? Verbundenheit? – wissen, aber er ließ sich nichts anmerken, und wir versuchten, es nicht zu deutlich zu machen. Wir schliefen nicht mehr miteinander, berührten und küssten uns nur, wenn wir allein waren. Es war eine seltsame, unangenehme Situation, aber durch sie erreichten wir zumindest eine Art Waffenstillstand zwischen Diego und Hugo.
    Wir kamen Jerusalem mit jedem Tag näher. Es wurde einfacher, Karawanen zu finden, denen wir uns anschließen konnten. Allein zu reisen war gefährlich. Es gab Banden ehemaliger Kreuzritter, die nicht wieder in ihre Heimat zurückgekehrt waren, und Gruppen entlaufener Sklaven, die zu Wegelagerern geworden waren.
    »Wenn wir auf diese Kreuzritter treffen, werde ich mich ihnen anschließen«, gab Hugo bekannt, als Diego ihm von ihnen erzählte. »Sarazenen töten und ausrauben kann ja keine Sünde sein.«
    Es war eine Provokation, auf die wir nicht eingingen.
    Und dann, eines Nachmittags, standen wir vor den Toren Jerusalems.
    Es war ein windiger Tag. Staub wehte von den Hügeln herab auf zerstörte Stadtmauern und eingestürzte Türme. Olivenbäume und Palmen wiegten sich in der Brise.
    »Die Stadt ist zerstört worden«, sagte Hugo, und in seiner Stimme schwang das gleiche Entsetzen mit, das ich auch spürte.
    Diego hob die Schultern. »Sie ist oft zerstört worden und wird noch oft zerstört werden, aber im Moment herrscht Frieden, auch wenn es nicht so aussieht.«
    Ein Hirte trieb eine Ziegenherde an dem offen stehenden Stadttor vorbei. Dahinter sah ich enge Gassen und das Minarett einer Moschee. Alte, hell gekleidete Männer mit Turbanen und langen Bärten hockten auf Teppichen im Schatten der Mauern und tranken Tee. Eine Gruppe von vier Frauen, unsichtbar unter Schleiern und dunklen Gewändern, huschte an ihnen vorbei, und ich hörte sie kichern und lachen.
    Durch das offene Stadttor betraten wir Jerusalem. Hohe, fast fensterlose Fassaden rahmten die Gassen ein, in denen kleine Türen saßen. Sie waren schief; Sonne und Zeit hatten das Holz verzogen und fast schwarz gefärbt. Die Schnitzereien, die sie einst geschmückt hatten, waren vom Sand glatt geschmirgelt worden.
    Die Stadt wirkte alt und unsagbar müde wie ein Greis, der dem Ende seines Lebens entgegensieht.
    Ziegen standen in den Gassen, Hühner liefen umher, und an einer Straßenecke saß eine schwarze Katze und putzte sich; als sie uns sah, stand sie auf und überquerte vor uns den Weg.
    Ich hob die Hand, um mich zu bekreuzigen, aber Diego hielt meinen Arm fest.
    »Nicht«, sagte er leise. Mit dem Kinn zeigte er auf einige Soldaten, die nicht weit von uns entfernt die Gasse entlang patrouillierten. Sie trugen Helme mit goldenen Spitzen und Klingen, die so gekrümmt waren wie Diegos Schwert.
    Hugo spuckte aus, was sie zum Glück nicht sahen. »Das ist unsere Stadt«, sagte er. »Jesus Christus ist hier von euch umgebracht worden.« Er bückte sich, nahm eine Handvoll Staub und ließ ihn durch die Finger rieseln. »Dieser Staub ist heilig. Diese Häuser sind heilig. Sie gehören uns und nicht den

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