Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
SF-Schriftsteller Heinlein geboren. Es ist eine schöne Geschichte, die eines kompetenten Mannes von Heinleins Geschmack würdig wäre, sie hat bloß einen Schönheitsfehler: Sie hat sich so nie zugetragen. Es gab keinen Wettbewerb, und bereits vor »Life Line« schrieb Heinlein den Roman »For Us, The Living«, der ein Ausfluss seiner politischen Tätigkeit war und die von ihm propagierte Idee des Social Credit illustrieren sollte. »For Us, The Living«, der deutlich in der utopischen Tradition steht und stark von Autoren wie H. G. Wells und Edward Bellamy beeinflusst ist, fand keinen Verlag und wurde erst posthum veröffentlicht. Doch es scheint, als habe Heinlein beim Verfassen dieses Buches, das noch primär politisch motiviert war, sein Talent zum und seine Freude am Scheiben entdeckt.
Patterson beschreibt die Entstehung von »For Us, The Living« und kann auch belegen, dass es den von Heinlein erwähnten Wettbewerb in dieser Form nicht gegeben hat. Dennoch wiederholt er den Ausspruch, den Heinlein angeblich getätigt haben soll, als er vom Gewinn des Wettbewerbs erfuhr (»How long has this racket been going on?«). Dass er damit die Beschreibung eines Ereignisses zitiert, das nie stattgefunden hat, scheint ihn nicht weiter zu stören. Hier und an zahlreichen weiteren Stellen kann sich Patterson nicht recht dazu entschließen, Heinleins offensichtliche Selbstmystifikation zu hinterfragen. Das zeugt nicht nur von einem mangelnden kritischen Bewusstsein, sondern ist auch erzählerisch eine vertane Chance – es wären doch gerade solche Widersprüche, die seinem Buch die Würze verleihen und Heinlein als komplexen Charakter erscheinen lassen würden.
In den folgenden Jahren konnte sich Heinlein erstaunlich schnell als erfolgreicher SF-Schriftsteller etablieren, und wir begegnen neben John Campbell auch Isaac Asimov, Fred Pohl, L. Sprague de Camp, L. Ron Hubbard – der offensichtlich schon damals windige Geschäfte betrieb – und zahlreichen anderen bekannten Exponenten des Golden Age. Nach wie vor sollten aber Geldnöte und – nicht zum letzten Mal – gesundheitliche Probleme Heinleins Alltag prägen. Wer die 1990 veröffentliche Briefsammlung »Grumbles from the Grave« kennt, dürfte bereits einen guten Eindruck davon haben, mit was sich Heinlein in dieser Zeit herumschlagen musste. 1948 ließ er sich dann von seiner zweiten Frau Leslyn scheiden, mit der er zeitweise in einer fast symbiotischen Beziehung gelebt hatte, die aber zunehmend an psychischen Problemen und Alkoholsucht litt. Patterson beendet den ersten Band seiner Biografie mit Heinleins Vermählung mit Virginia, die bis zu seinem Tod seine engste Vertraute und Mitarbeiterin sein sollte.
Was bleibt als Fazit? Patterson hat eine enorme Fülle an Fakten zu Heinleins Leben zusammengetragen, diese aber oft nicht kritisch hinterfragt und auch kaum zweckmäßig gewichtet. Dies mag zu einem nicht unbeträchtlichen Teil an der Quellenlage liegen sowie an der Tatsache, dass Patterson mehr oder weniger pro domo schreibt. Auf mich hatte »Learning Curve« aber den seltsamen Effekt, dass ich nun zwar sehr viel mehr über Heinleins Leben weiß, da Patterson aber weitgehend das von diesem entworfene Selbstbild reproduziert, ist er mir als Mensch nun fremder als zuvor.
Simon Spiegel
FRANZ ROTTENSTEINER
IM LABOR DER VISIONEN
Verlag Dieter von Reeken, Lüneburg 2013 · 268 Seiten · € 20,–
»Seine Ausführungen muten klar und einleuchtend an. Seine Richtschnur ist die Verständlichkeit, die auf einem sicheren literarischen Urteil beruht.« Was Franz Rottensteiner im vorletzten Beitrag von »Im Labor der Visionen« über seinen lebenslangen Freund, den Physiker und Weird-fiction -Experten Kalju Kirde (1923–2008), schreibt, gilt auch für ihn selbst und macht den Grund aus für seine anhaltende Popularität als Herausgeber und Kritiker. Sämtliche hier versammelten Beiträge entstammen nicht dem Quarber Merkur , Rottensteiners verdienstvoller Literaturzeitschrift für Science Fiction und Fantastik, die 2004 mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet wurde. Das einstmals auf Wachsmatrizen vervielfältigte Magazin, angetreten unter dem nur halb ironischen Motto »Kampf der verderblichen Schundliteratur«, wird im Herbst in seinem fünfzigsten (!) Jahr erscheinen. Ein höchst passender Anlass, um zusätzlich anderthalb Dutzend Texte Rottensteiners aus dem letzten Jahrzehnt in einem Sammelband zu präsentieren, mit einem vorzüglich ersonnenen
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