Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
Buchtitel und einem kongenialen Cover – Rottensteiners eigenem Lieblingsbild von Helmut Wenske, dem vielfältig schillernden Ehedem-Rocker, Kultautor, psychedelischen Maler, Grafiker, Illustrator und mehrfachen Laßwitz-Preisträger. Rottensteiner stellt ihn nicht nur mit einem hohen Maß an Empathie vor; er skizziert auch einen hübschen Kontrast zwischen dem »wilden Hund« Wenske und seinem eigenen »geradezu scheißnormal spießbürgerlichen« Leben, der einen beim Lesen schmunzeln lässt.
Wie gut, wenn solche Freundschaften wie diejenigen Rottensteiners mit Kirde und Wenske zusätzlich dem Genre zugute kommen, es um neue Dimensionen erweitern und bereichern. Ein hohes Maß an persönlicher Sympathie merkt man auch Rottensteiners Artikel über Wolfgang Jeschke an, ergänzt um ein ausgesprochen pfiffiges Foto eines ironisch-skeptisch dreinschauenden Jeschke. Rottensteiner präsentiert uns den eleganten, gelegentlich geradezu »barock-opulenten« Fabulierer Jeschke, der seine Leser auf Odysseen durch Welten mit oft grausamen Zügen mitnimmt, um sie mit der immer neu verkleideten Frage zu konfrontieren: »Was sind die Konstanten der Menschlichkeit in einer Welt, die sich ständig ändert?« Gleich im einleitenden Kapitel des Buchs »Die Zukunft der Science Fiction« finden sich zu dieser Frage einige höchst bedenkenswerte Anmerkungen:
»Als ›Singularität‹ ist eine zukünftige Zeitspanne (bezeichnet worden), in der die Geschwindigkeit des informationstechnischen Wandels so rasch sein wird und seine Auswirkungen so tief, dass das menschliche Leben irreversibel verändert wird … Die Singularität ist der Augenblick, wenn der Mensch eine technische Schwelle überschreitet und … infolge des exponentiellen Wachstums der Rechenleistung von Computern, Nanoproduktionsweisen und des Geningenieurswesens … zu etwas Transhumanem wird … Dann könnte gelten, was Hans Jonas vor langer Zeit gesagt hat, dass sich größte Macht mit größter Leere paart, größtes Können mit geringstem Wissen davon, wozu.«
In einem Kapitel über Michael K. Iwoleit kommt Rottensteiner gegen Ende des Buchs nochmals auf die Frage »nach dem Wesen und den Grenzen des Menschen« zurück, dessen Natur »angesichts des Ansturms neuer Techniken ungewisser denn je wird«. Für Iwoleit nimmt ihn ein, dass in dessen Erzählungen verbreitete Träume menschlicher Allmacht »vielfach ironisch gebrochen« werden.
Kirde, Wenske, Jeschke und Iwoleit sind nur vier unter einem Dutzend Porträts, die Rottensteiner entwirft; auf andere wird gleich noch einzugehen sein. Zunächst aber soll das Verständnis von Science Fiction umrissen werden, das Rottensteiner seinen Arbeiten zugrunde legt. Er fasst es in dem bereits zitierten Eingangskapitel mit dem Satz zusammen: »Zwei Dinge sollten SF vor allem auszeichnen: Offenheit und Kritik. Offenheit für das Wagnis unorthodoxen Denkens, aber gepaart mit Kritik und nicht mit Leichtgläubigkeit.« Realistischerweise fügt Rottensteiner hinzu, dass Science Fiction eine Massenliteratur ist und es infolgedessen immer nur wenige Werke geben wird, die sich darum bemühen, »Speerspitze der Kognition« (Lem) zu sein.
In den beiden Kapiteln »Einige Anmerkungen zum sozialkritischen Gehalt von Science Fiction« sowie »Zur Kritik an der Zukunft« spinnt Rottensteiner diese Überlegungen weiter, illustriert sie an Hand einer Reihe von Romanen, die im »kollektiven Bewusstsein« (if there should be such an animal) der SF-Leserschaft viel zu wenig verankert sind: Georg Lamszus’ »Das Menschenschlachthaus«, Konrad Loeles »Züllinger und seine Zucht«, Jewgenij Samjatins »Wir«, Franz Werfels »Stern der Ungeborenen«, Sinclair Lewis’ »Das ist bei uns nicht möglich«, Philip Roths »Verschwörung gegen Amerika« und Cyril Kornbluths »Mafia-Utopie« »Schwarze Dynastie« (bei uns lange vor der Bastei-Lübbe-Ausgabe als Utopia-Kriminalroman erschienen). Höchst anschaulich versteht es Rottensteiner, in diesen (wie auch in den Anschlusskapiteln »Religion und Science Fiction« und »Eine kurze Geschichte der Zeitreise«) Science Fiction als »Haus mit vielen Zimmern« vorzuführen, als »Vehikel der verschiedensten Ideologien«, »Magd des Bestehenden« hier, »Bilderstürmerin« dort. Ein Satz, den er in »Religion und Science Fiction« SF-Autoren und solchen, die es werden wollen, ins Stammbuch schreibt, verdiente mehr Beherzigung:
»Nie den Gedanken an ein höheres Wesen gehabt zu haben, würde für eine
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