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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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bleiche Gesicht, das wie eine fahle Mondscheibe aus dem Turmfenster zu ihm herunterstarrte.

4
    »Vorsichtig! Sie darf dich nicht bemerken!« Manchmal wusste er nicht, ob die Stimme direkt in seinem Kopf ertönte oder ob er selbst die Worte laut ausgesprochen hatte. Es spielte zwar keine Rolle, weil die Botschaften immer nützlich und klar waren, aber er wollte nicht, dass man ihn für verrückt hielt, weil er dauernd Selbstgespräche führte. Deshalb war Variante eins besser. Wie von selbst wanderte sein Zeigefinger in den Mund, und die Zähne begannen an ihm zu nagen. Die schwierigste Aufgabe war nicht das Aufbrechen des Brustkorbs oder das Herausnehmen des Herzens, am kniffligsten war eindeutig das Finden geeigneter Personen. Sie mussten ihm körperlich unterlegen sein und sich leicht überreden lassen mitzukommen. Kinder kamen diesem Idealbild am nächsten. Da Kinder aber Eltern hatten, die ihr Verschwinden sofort bemerken würden, fiel diese Art von Spendern leider weg. Und so hatte er sich für Frauen entschieden. Nicht jede war geeignet. Die Stimme hatte ihm empfohlen, generell jüngere vorzuziehen. Das verstand er, war doch das begehrte Organ bei jungen Menschen noch nicht von diversen Erkrankungen gezeichnet.
    Junge Frauen gab es in Hülle und Fülle, das Hauptproblem lag allein darin, eine zu finden, die niemand so schnell vermissen würde, eine Spenderin, die spurlos von der Bildfläche verschwand und nie wieder gesehen wurde, ohne dass Verwandte oder Freunde nach ihr suchten.
    Er duckte sich tiefer hinter das Gestrüpp neben dem Buswartehäuschen und hoffte, die ineinander verwobenen Zweige würden ihn genügend verdecken. Doch die junge Frau schaute gar nicht in seine Richtung. Sie lief mit schnellen Trippelschritten auf und ab und rauchte, den Blick auf die Straße gerichtet. Ab und zu rieb sie die Hände in den roten Wollhandschuhen gegeneinander, die Zigarette hing dabei aus ihrem Mundwinkel. Schön sah das nicht aus.
    Jedes Mal, wenn sich ein Auto näherte, warf sie die Kippe in den Schnee und stellte sich in Positur, aber anscheinend hatte sie heute kein Glück. Was dazu führen würde, dass sie umso bereitwilliger mit ihm mitkommen würde. Der erste Job seit Stunden, ein warmes Auto. Es würde ein leichtes Spiel sein. Wenn sie dann schön angeschnallt auf dem Beifahrersitz »schlief«, konnte er ohne Probleme mit ihr über die Grenze fahren. Es gab keine Kontrollen mehr, schon seit vielen Jahren nicht. Die Tschechen gehörten längst zur großen Europa-Familie.
    Letzten Endes war seine Wahl auf Frauen hinausgelaufen, die einen großen Teil ihrer Zeit allein verbrachten, ohne Weiteres zu fremden Männern ins Auto stiegen, sich aber trotzdem nicht komplett gehen ließen. Natürlich hätte er in einer deutschen Großstadt irgendeinen verlotterten Obdachlosen, der Drogen nahm und auf der Straße lebte, auflesen können. Die vermisste keiner. Aber solche Typen waren unappetitlich. Sie wuschen sich nur selten und stanken. Schon der Gedanke, solch einem Individuum die vor Dreck starrenden Klamotten vom Leib zu schneiden, ekelte ihn an. Zudem waren diese Menschen misstrauisch.
    Er nahm den Zeigefinger aus dem Mund, betrachtete das, was vom Nagel übrig geblieben war, widersetzte sich dem Drang, auch noch die linke Hand zu malträtieren, und zog die Handschuhe wieder an. Jetzt, nach über drei Stunden geduldigen Ausharrens hinter dem Wartehäuschen, fror er trotz der Thermounterwäsche und der dicken Fellfäustlinge. Die kleine Nutte in den roten Lackstiefeln musste noch viel mehr frieren als er, aber sie ließ sich nichts anmerken. Voller Hoffnung darauf, dass doch ein Geschäft zustande kommen würde, straffte sie ihren schmächtigen Körper bei jedem Auto, das sich näherte, und entspannte sich erst, wenn es hinter der Straßenbiegung im Wald verschwunden war.
    Die Kleine war ihm gleich beim ersten Vorbeifahren aufgefallen. Allein stand sie auf ihrem Posten außerhalb des Dorfes, keine anderen Mädchen befanden sich in der Nähe. Mit hoffnungsvollem Blick hatte sie beobachtet, wie er gebremst hatte und langsam an ihr vorbeigerollt war. Ihr enttäuschtes Gesicht, als der vermeintliche Freier wieder Gas gegeben hatte, war ihm noch gut im Gedächtnis.
    Sie war niedlich. Vielleicht konnte er ein bisschen Spaß mit ihr haben, bevor er sie aufmeißelte. Er leckte sich die aufgerissenen Lippen. Das war eine gute Idee. Die Stimme hatte ihm nicht verboten, Spaß zu haben.
    Nach der ersten Musterung war er eine

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