Das sechste Herz
und begann, die braungrauen Stückchen sorgfältig unter den Stämmen zu verteilen. Dort, wo schon die anderen als Dünger für die Fichten und Opas verwilderte Himbeersträucher dienten.
Wenn das mitgebrachte Gut komplett zerkleinert und ausgestreut war, würde er alles noch sorgfältig einharken, und dann konnte die Natur ihren Lauf nehmen. Winzige Knochenreste würden von kleinen Fleischfressern geholt werden; alles andere verweste wie Abfall auf einem Komposthaufen. Außerdem hatte ja auch niemand eine Ahnung, was er hier verstreut hatte, und so gab es keinen Anlass, den Mulch näher zu untersuchen.
Die leere Wanne vor sich hertragend, machte sich Frank Studer auf den Rückweg in die Garage. Es waren noch mindestens zwei Fuhren zu erledigen, und es wurde früh dunkel. Nach getaner Arbeit blieb nur die Plastikfolie übrig, aber auch das war kein Problem. Die Verpackung würde er am Schluss sorgfältig abspülen und mit reichlich Chlorreiniger nachwaschen. Genau wie den Häcksler. Chlorreiniger machte es unmöglich, Blutspuren nachzuweisen. Hatte die Stimme gesagt. Die gesäuberten Folien konnte er dann auf der Rückfahrt in irgendeine Abfalltonne werfen. Insgesamt schien es ihm die perfekte Vorgehensweise zu sein, um einen menschlichen Körper loszuwerden.
Auf dem Heimweg würde er die Gegebenheiten für die nächste Aufgabe erkunden. Die Stimme hatte gesagt, er solle das Gelände gründlich auskundschaften und ihr darüber berichten, damit sie ihm konkrete Anweisungen geben konnte. Das war seine Aufgabe bis morgen Mittag. Übermorgen – am Mittwoch – würde er dann das nächste Herz zu seinem vorbestimmten Fundort bringen.
15
Das war die Herz-Bestie!
Dieser junge Mann hat seinen drei jüngeren Geschwistern das Herz bei lebendigem Leib herausgeschnitten! Magnus G., auf dem Foto 17 Jahre alt, hat im Sommer 2003 zum Skalpell gegriffen. An einem Wochenende, als seine Eltern auf einer Urlaubsreise waren, hat er seine Schwestern Sarah (13) und Lea (9) und den kleinen Felix (6) bestialisch abgeschlachtet. Die ausgeweideten Leichen warf er in den Pool, die Herzen legte er in die Kühltruhe, wo sie zwei Tage später gefunden wurden ( Bild berichtete).
Mark las noch einmal die Blocküberschrift und schüttelte den Kopf. »Herz-Bestie«! Die Bild -Zeitung hatte Geroldsen vor zehn Jahren so betitelt und die Bezeichnung nun wieder hervorgekramt. Auf der Titelseite sah man ein grobkörniges Foto von Magnus Geroldsen. Er trug eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und hatte die dunklen Haare sauber gescheitelt. Seine weichen Gesichtszüge ließen ihn zusammen mit der Kleidung wie einen harmlosen Jüngling aussehen, der sich für den Abschlussball fein gemacht hatte. Auf Seite drei hatten die Redakteure noch einmal in epischer Breite die schrecklichen Details ausgebreitet. Ein unscharfes Bild zeigte die Luftaufnahme eines rechteckigen Pools, daneben befand sich ein Foto der Familie aus glücklicheren Tagen – über die Augen hatte man schwarze Balken gelegt.
Mark blätterte um. Die Blockbuchstaben hatten ihn heute früh auf dem Weg nach Obersprung am Kiosk angeschrien, und er hatte nicht widerstehen können und sich eine Zeitung gekauft.
Die Herz-Bestie sitzt jedoch nicht im Gefängnis! Magnus G. wurde im Prozess von einem Gutachter für nicht schuldfähig befunden und befindet sich seit fast zehn Jahren im Maßregelvollzug in Obersprung. Seine Schuldunfähigkeit hält ihn jedoch nicht davon ab, fleißig Jura zu studieren. G. steht bereits kurz vor dem Examen!
Mark verzog das Gesicht. Das hörte sich irgendwie an, als sei einer der Gutachter schuld daran, dass Geroldsen nicht strafrechtlich verurteilt worden war und nun sogar studieren konnte. Aber es ging ja der Bild -Zeitung auch nicht darum, die Feinheiten des deutschen Rechtssystems auszuleuchten. Es ging um Quote, und die ließ sich mit Stammtischparolen natürlich leichter erzielen. Der Artikel endete mit:
Gibt es Parallelen zu dem Fund der drei menschlichen Herzen vom vergangenen Dienstag in Leipzig? Wo sind die dazu-gehörigen Leichen? Ist womöglich ein Nachahmungstäter am Werk? Bild wird weiter berichten …
Es wunderte ihn überhaupt, dass es fast eine Woche gedauert hatte, bis die Medien Parallelen zwischen dem Fund der Herzen in Leipzig letzte Woche und dem Fall Geroldsen gezogen hatten. Mark warf die Zeitung auf den Beifahrersitz und schlüpfte in Jacke und Handschuhe. Leon Malz wartete auf ihn.
Auf dem Weg zum Tor dachte er darüber nach, wie
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