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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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während sie überlegte, was sie zu Frank sagen würde, wenn er plötzlich aus dem Dunkeln auftauchte. Nanu, was machst du denn hier? Wohnst du hier? Ich war auf dem Weg zu einer Freundin. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause. Hast du Lust auf einen Kaffee? Sie schüttelte den Kopf. Alles Mist. Ihr wollte einfach kein glaubwürdiger erster Satz einfallen.
    Frank war so poetisch. Feinfühlig und versonnen. Nicht wie diese groben Trampel, die sie bisher als Freunde gehabt hatte. Was sie aber am besten fand: Er bemühte sich ernsthaft, mit dem Teufel Alkohol fertigzuwerden. Genau wie sie. Sie konnte es sehen und spüren, wenn er in der Gruppe war. So einen wunderbaren Mann durfte man sich doch nicht durch die Lappen gehen lassen! Lisa kramte nach einem Taschentuch. Sie war eine Heulsuse. Es wurde Zeit, ihre Zelte hier abzubrechen. Die zehn Minuten waren längst verstrichen.
    Das Geräusch ihres Schnaubens hätte fast das Quietschen der sich öffnenden Tür übertönt. Lisa machte einen Sprung rückwärts, hielt die Luft an und sah mit großen Augen auf Franks Rückenansicht. Gott sei Dank hatte er sie nicht bemerkt!
    Der Angebetete schlenderte langsam davon. Auf dem Rücken trug er einen großen Rucksack. Wo wollte er hin? Hektisch kramte sie nach dem Autoschlüssel und rannte dann über die Straße. Sie hatte sich das Auto ihres Bruders »geborgt«. Thomas wusste allerdings nichts davon. Aber er würde es auch nicht erfahren, wenn sie es rechtzeitig zurückstellte. Thomas schaute nie auf den Kilometerzähler. Nicht bei dieser alten Krücke. Der Kilometerstand erschreckte ihn nur. Im Einsteigen schaute sie über die Schulter. Frank war bereits an der nächsten Kreuzung angekommen, aber das Glück war ihr hold. Er bog nicht ab, sondern ging weiter geradeaus. Der Fiesta hustete und keuchte, dann sprang er an. »Guter Kerl.« Lisa tätschelte das Armaturenbrett, dann fuhr sie los.
    Mit einem nervenzerreißenden Quietschen bog die Straßenbahn um die Ecke und hielt dann an. Lisa verdrehte den Kopf, um aus dem Beifahrerfenster einen Blick auf das Straßenschild zu erhaschen, konnte es aber im Halbdunkel der wenigen Straßenlampen nicht richtig erkennen.
    Frank war wieder nicht ausgestiegen, und so gab sie vorsichtig Gas und folgte der Bahn. Wohin mochte er wollen? Und würde es ihm auffallen, dass ein kleiner verdreckter Fiesta schon die ganze Zeit hinter der Straßenbahn herfuhr? Schließlich war sie im »Beschatten« nicht geübt und hatte keine Ahnung, wie man es anstellte, dabei nicht gesehen zu werden. Wenn sie an den Stellen, an denen die Bahn einen Bogen fuhr oder abbog, einen Blick auf Frank erhaschte, sah sie immer nur seinen Hinterkopf, was bedeutete, dass er nach vorn schaute. Lisa verzog den Mund. War das, was sie hier tat, schon Stalking? Und was würde sie tun, wenn er ausstieg – sich ihm endlich zu erkennen geben? Schnell davonbrausen? Was hätte sie dann aber von ihrem Ausflug gehabt? Wäre es nicht besser, sie würde das kindische Katz-und-Maus-Spiel beenden und sofort nach Hause fahren? Wieder hielt die Bahn. Womöglich war er auf dem Weg zu einer Freundin? Lisa steckte die Finger der Linken in den Mund und nahm sie sofort wieder heraus. Sie hatte sich vorgenommen, die Fingernägel nicht mehr abzukauen, vergaß dies jedoch immer wieder.
    Inzwischen wusste sie, wo sie waren. Gleich hier um die Ecke lag das Naturbad Südwest. Sie war als Kind oft dort gewesen. Mittlerweile waren die Badegäste fast alle an den Cospudener See abgewandert, und das Naturbad, eigentlich ein Kiesteich, wurde als sogenannter Landschaftssee vom Anglerverband für sich beansprucht. Franks Straßenbahn fuhr nach Markkleeberg im Südwesten von Leipzig. Hier spürte man die Großstadt fast nicht mehr, die Gegend war eher ländlich geprägt, in der Nähe lagen mehrere Seen, die sie dem Braunkohlentagebau zu verdanken hatten. Nur noch eine Haltestelle, dann kam »Markkleeberg West«. Dort endete die Straßenbahnlinie, und spätestens dort würde, musste er aussteigen. Lisa bemerkte gar nicht, wie Zeige- und Mittelfinger ihrer linken Hand wieder in den Mund schlüpften, so sehr war sie damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was sie tun sollte, wenn die Bahn hielt. Gleich war es so weit.
    Lisa fuhr an den Straßenrand und beobachtete, wie die Bremslichter der Straßenbahn aufleuchteten und sich die Türen öffneten. Vier Leute stiegen aus. Es war schwierig, aus der Entfernung und in der Dunkelheit Einzelheiten auszumachen, aber

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