Das sechste Herz
dass die Patienten in 99,98 Prozent der Fälle brav zurückgekehrt sind.«
»Immer noch 0,02 Prozent zu viel!« Jo gab nicht auf.
»Eine hundertprozentige Gewissheit gibt es leider nicht.« Mark holte Luft. »Eins allerdings kann ich euch versichern: Magnus Geroldsen war noch kein einziges Mal draußen. Weder mit noch ohne Begleitung.«
»Es könnte ein Nachahmungstäter sein.« Lara hörte ihre eigene Stimme wie durch Watte. »Aber dann frage ich mich, warum er gerade jetzt damit angefangen hat.«
»Angefangen hat?« Jo war noch immer ärgerlich, das konnte man an den Falten auf seiner Stirn sehen. »Das hieße doch, es geht weiter mit diesen tiefgefrorenen Herzen!«
»Das wollen wir doch alle nicht hoffen.« Mark erhob sich.
14
Frank Studer schaltete das Licht ein und sah sich um. Die Garage wirkte unaufgeräumt, aber er hatte einfach keine Lust, das Gerümpel zu sichten und wegzubringen, das sich im Laufe vieler Jahre hier angesammelt hatte. Es eilte auch nicht. Großvater war seit fast sechs Jahren tot, und das einzig Gute, was von dem alten Tyrannen geblieben war, waren der alte Audi und das Grundstück samt Haus außerhalb von Taucha, das er Frank vererbt hatte.
Nachdem sie das Scheusal begraben hatten, war das Gelände zunehmend verwaist, bis zu Franks Entlassung hatte niemand nach dem Rechten gesehen, doch inzwischen überlegte er sogar ab und zu, ob er ganz hier herausziehen sollte. Obwohl man auch in der Großstadt unbeobachtet leben konnte.
Mit beiden Armen schob er den Häcksler in die Mitte des Raums. Die zwei gut gefüllten Wäschekörbe hatte er vorher schon vom Auto in die Garage getragen. Das Haus lag zwar abgelegen, direkt am Waldrand, und es gab keine direkten Nachbarn, aber trotzdem musste nicht jeder sehen, was er hier machte.
Frank zog die Plane mit den Holzabfällen neben das Gerät. Baumschnitt aus Großvaters Garten. Er mischte das mitgebrachte »Häckselgut« immer mit Zweigen und Ästen und fügte im Nachhinein zusätzlich Hobelspäne hinzu. Das Gemenge, das dabei entstand, glich auf erstaunliche Art dem Rindenmulch, den man in Baumärkten zur Verbesserung des Bodens kaufen konnte. Nur dass seiner viel mehr organischen Dünger enthielt. Frank konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann warf er den Motor an. Er musste sich beeilen. Wenn das Gefriergut auftaute, ließ es sich nicht mehr so gut schreddern.
Er hatte sich nach einer langen Testphase und dem Ausprobieren mehrerer Leih-Häcksler aus diversen Baumärkten für den Kauf eines Messerhäckslers mit zusätzlichem Kronenmesser entschieden, der sich nicht nur zum Zerkleinern von Strauchschnitt, sondern auch für »weiches Material« wie Topfballen und Staudenreste eignete. Und natürlich für andere weiche Dinge. Frank begann, das erste Päckchen auszuwickeln, und summte dabei ein Lied. Dein ist mein ganzes Herz. Wo du nicht bist, kann ich nicht sein. Er konnte nicht gut singen, aber das machte nichts. Die Töne gingen eh im Rattern des Geräts unter. Das Lied von Franz Lehár erklang weiter in seinem Kopf.
Während seine Hände fleißig Astwerk und gefrorene Fleischteilchen in die Einfüllöffnung des Häckslers warfen, tanzten seine Gedanken Ringelreihen.
Die Stimme hatte ihm neue Anweisungen gegeben. Über die Elektroden waren die Instruktionen diesmal direkt in seinem Kopf aufgetaucht. Schon übermorgen sollte er das nächste Herz deponieren. Frank Studer war bereit. Bereit für alles, was ihm aufgetragen wurde. Die kleine Janina hatte ihr Herz nicht umsonst hergegeben. Ob man schon nach ihr suchte? Aber Tschechien war weit weg, und eine vermisste tschechische Nutte interessierte in Deutschland niemanden. Solange man ihre Leiche nicht fand. Und dafür sorgte er ja gerade.
Wenn das so weiterging, würde er sich weitere Thermobehälter besorgen müssen. Zwei hatte er noch, aber was, wenn mehr gebraucht wurden?
Die Plastikwanne mit den geschredderten Abfällen war bereits halb voll, und Frank schaltete den Motor ab, schnitt das Paket mit den Hobelspänen auf und begann, es unterzumischen. Die Späne saugten ausgetretene Flüssigkeit gut auf, nicht umsonst verwendete man sie üblicherweise als Einstreu für Kaninchen oder Meerschweinchen. Zufrieden betrachtete er seinen selbstgemachten »Mulch«. Die erste Ladung konnte nach draußen. Großvaters riesiges Grundstück bot viele Möglichkeiten, gehäckselte Abfälle zu verteilen. Frank lud die Wanne am Waldrand vor den Sträuchern, die fast den ganzen Zaun verdeckten, ab
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