Das sechste Herz
anberaumt.« Der Fotograf stellte eine Tasse auf Huberts Schreibtisch und nahm ihm gegenüber Platz.
»Gehst du hin?« Hubert nahm einen Schluck. Das Gebräu schmeckte sauer, obwohl der Kollege nicht mit Sahne gegeizt hatte. Aber der Kaffee stand auch schon seit mindestens zwei Stunden auf der Warmhalteplatte.
»Na klar.« Jo zog den Speicherstick aus seiner Kamera und stöpselte ihn in den Rechner.
»Mal davon abgesehen, dass ich Bilder für die morgige Ausgabe machen muss, interessiert mich der Fall.«
»Das heißt also, dass wir morgen wieder einen Riesenartikel bringen und dass Christin auch hingeht.« Hubert verzog den Mund und stellte die Tasse weg. Das Gesöff war nicht trinkbar.
»Na, aber sicher doch. Wenn so etwas schon in unserer Stadt passiert, müssen wir doch berichten. Und Christin schreibt schließlich eine Artikelserie über den Fall.« Jo sah hoch und runzelte die Stirn. »Hast du was gegen sie?«
»Nein. Sie ist mir eigentlich egal. Aber ich finde ihre Schreibe zu reißerisch. Lara war da besser.«
»Das stimmt allerdings.« Jo lächelte. »Ich glaube aber, Tom mag Christin. Da hat sie praktisch Narrenfreiheit.«
»Ja leider. Da kann man nichts machen.« Hubert hüstelte. »Wir könnten Patrick mitschicken. So lernt der Junge gleich mal, wie es bei solchen Pressekonferenzen zugeht. Glaube nicht, dass Tom was dagegen hat.«
Als hätten seine Worte ihn gerufen, öffnete sich die Eingangstür, und der Praktikant erschien. Mit seiner Pudelmütze und dem geringelten Schal glich er einem Schuljungen. Sein Gesicht war gerötet. Noch ehe er die Tür ganz geschlossen hatte, sprudelte es schon aus ihm heraus. »Diesmal war das Herz nicht tiefgefroren!«
»Wie bitte?« Hubert sah zuerst zu Jo und dann zu Patrick.
»Ich habe gerade mit Christin telefoniert. Wegen der Recherchen über den geplanten Neonazi-Aufmarsch von Probstheida durch Connewitz in die Innenstadt. Ich wollte sie eigentlich fragen, ob sie jemanden von diesem Aktionsnetzwerk ›Leipzig nimmt Platz‹ kennt, dann wäre ich dorthin gefahren und hätte denjenigen ein bisschen ausgequetscht.« Patrick sprach atemlos und verschluckte ganze Wortendungen.
»Und da hat sie dir von dem Herz erzählt?«
Patrick stockte bei Jos Frage, schien sich kurz zu schütteln und sprach dann weiter. »Genau. Es war frisch, also hatte er es nicht im Gefrierschrank.« Erst jetzt begann er, sich von seiner winterlichen Vermummung zu befreien.
»Woher weiß Christin das?« Hubert hatte sich jetzt aufrecht hingesetzt.
»Von der Rechtsmedizin. Sie kennt da jemanden, und der hat ihr das gesteckt.«
»Und wie kommst du darauf, dass es sich bei dem Täter um einen Mann handelt?«
»Hab ich das gesagt?«
»›Er hatte es nicht im Gefrierschrank‹, waren deine Worte.«
»Das war nur so dahingesagt. Ich weiß auch nicht mehr als ihr.« Patrick kratzte sich hinter dem Ohr.
»Weil wir gerade dabei sind …«, Hubert betrachtete den schwarzbraunen Rest in seiner Tasse und schüttelte dabei den Kopf, »ich dachte, du könntest nachher mit Jo zu dieser Pressekonferenz gehen. Sie beginnt um sechzehn Uhr. Christin wird natürlich auch dort sein, sie schreibt ja über den Fall. Oder hast du andere Aufträge?«
»Nichts Unaufschiebbares.« Die Augen des Praktikanten leuchteten. »Diese Neonazi-Recherchen kann ich auch morgen weiterführen. Und ich habe ja schon allerhand mit dem Schlachter-Fall zu tun gehabt.«
»Gut, dann machen wir das so. Da kannst du Erfahrungen sammeln, wie man sich in solchen Veranstaltungen als Journalist verhält. Und ›Schlachter‹ wollen wir bei der Tagespresse möglichst nicht sagen. Das ist Boulevardjournalismus. Wir sind hier eine seriöse Zeitung.«
»Aber …« Patrick führte den angefangenen Satz nicht zu Ende. Wahrscheinlich war ihm gerade noch rechtzeitig eingefallen, dass es besser war, seinem Mentor nicht zu widersprechen.
»Ich kann dich im Auto mitnehmen, wenn du willst. Um drei fahre ich los.« Jo schaute nicht hoch, sondern sortierte und archivierte die Fotos, die in schneller Abfolge auf seinem Bildschirm erschienen.
»Das wär super. Für größere Fahrradtouren ist es heute echt zu kalt.«
»Gut, hätten wir das geklärt.« Hubert wandte sich wieder seinem Text zu.
»Ich frage mich, warum er diesmal ein frisches Herz genommen hat.« Obwohl beide Kollegen beschäftigt waren, gab Patrick noch nicht auf.
»Du hast schon wieder ›er‹ gesagt.«
Jo zog die Augenbrauen hoch. »Irgendwie muss Patrick sich doch
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