Das Sehnen der Nacht (German Edition)
blickte sie alle an und war noch nie so einsam gewesen.
»Bitte entschuldigt mich für einen Moment«, sagte sie zu dem Paar. »Ich sollte kurz im Cottage anrufen, ob mit Connor alles in Ordnung ist.«
»Aber du hast doch erst vor fünf Minuten angerufen …«
Doch Danika ging schon auf eine ruhigere Stelle im Saal zu und holte das Handy aus ihrer kleinen Abendtasche. Emmas Bemerkung überhörte sie geflissentlich. In dem kleinen Cottage, wo sie und Connor untergebracht waren, gab es keine neuen Nachrichten. Alles war so wie beim letzten Mal, als sie angerufen hatte: Dem Baby ging es gut, Danika brauchte sich keine Sorgen zu machen.
Sie bedankte sich bei der Stammesgefährtin, die auf Connor aufpasste, und klappte das Handy zu. Es gab keinen Grund, weshalb sie die Party frühzeitig verlassen und schnell zurück zu ihrem Kind musste, und darüber sollte sie froh sein. Alle wollten, dass sie sich heute einen schönen Abend machte. Wo sie schon hier festsaß, bis ihre Begleiter aufbrechen wollten, sollte sie vielleicht wenigstens versuchen, ein bisschen Spaß auf der Party zu haben.
Danika ließ das Handy in ihre Abendtasche gleiten und schlenderte langsam in einem Kreis durch den Saal. Wegen der roten Schärpe um ihre Taille zeigten die ledigen Stammesvampire kaum Interesse; nur die draufgängerischsten schauten ihr nach. Dabei war sie mit ihren eins achtzig, den zusätzlichen Zwölf-Zentimeter-Absätzen und ihren langen, skandinavisch blonden Haaren kaum zu übersehen. Sie hatte kein Problem, die taxierenden Blicke der Männer im Saal zu ignorieren. Es waren die Blicke voller Mitgefühl, die ihr die anderen Stammesgefährtinnen zuwarfen, wegen derer sie sich unwohl in ihrer Haut fühlte.
Verwitwet nach so langer Zeit? Ich würde mich lieber umbringen, als meinen Gefährten so zu verlieren.
Für einen Moment schloss Danika die Augen, als der Gedanke ihr von der anderen Seite des Saals zugetragen wurde. Sie wusste nicht, von wem sie ihn aufgeschnappt hatte, und sie konnte auch nicht verhindern, dass sie in den Kopf eines anderen Vampirs eingedrungen war. Jede Stammesgefährtin besaß eine individuelle übersinnliche Gabe. Danika konnte Gedanken lesen, die von Stammesvampiren und ihren Gefährtinnen, und auch die vom ganz gewöhnlichen Homo sapiens . Seit Conlans Tod war ihre Gabe unberechenbar geworden, sie hatte die Kontrolle darüber verloren. Sein Stammesblut hatte ihren Körper über Jahrhunderte jung gehalten, und es hatte ihr Talent genährt und stark gemacht.
Schon mehrmals heute Abend war ihr plötzlich und unaufgefordert ein mentaler Kommentar durch den Kopf geschossen. Das meiste war banales Geschwätz und das übliche Geschwafel langweiliger Cocktailpartys. Doch auch einige weniger nette Gedanken hatten wie scharfe Pfeile den Weg zu ihr gefunden.
Das wäre nicht passiert, wenn Conlan in Schottland geblieben wäre, wo er hingehört. Er hätte sich nie eine Ausländerin als Gefährtin nehmen sollen.
Danika hob unwillkürlich ihr Kinn und schritt tiefer in die Menge der Zivilisten im Dunklen Hafen. Sollten sie sie doch anstarren. Was kümmerten sie diese stummen Anklagen und Verdächtigungen? Sollten sie eben glotzen, als käme Danika vom Mars. Sie war hier eine Außenseiterin, aber auf die Anerkennung von anderen hatte Danika nie etwas gegeben. Und die Anerkennung der Highlander brauchte sie gleich zweimal nicht.
Sie schritt ohne Eile und mit erhobenem Kopf mitten durch die versammelten Gäste. Jetzt schnappte sie auch gemurmelte Unterhaltungen auf, die mit dem Ansturm des unkontrollierten mentalen Inputs verschmolzen. Bald konnte Danika kaum mehr unterscheiden, welche Worte laut gesprochen wurden und welche nur Gedanken waren, die nur sie in ihrem Kopf hören konnte. Jemand ärgerte sich über seine unbequeme Kleidung, eine Frau schmiedete irgendwelche Pläne für die Feiertage. Das alles wurde überlagert von hitzigen Debatten über Stammespolitik und die schlechte wirtschaftliche Situation in der Welt der Menschen. In einigen Teilen der Erde sah es selbst für das Vampirvolk wirtschaftlich nicht besonders rosig aus.
Danika dröhnte der Schädel vom Stimmengewirr des doppelten mentalen Inputs. Endlich hatte sie die andere Seite des Saals erreicht. Ein bisschen frische Luft würde ihr jetzt guttun. Sie ging auf die Glastür zwischen den Vorhängen zu, die hinaus auf eine Terrasse führte.
Beim Näherkommen bemerkte sie draußen einige dunkle Gestalten, eine
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