Das Sehnen der Nacht (German Edition)
1
Weihnachtliche Melodien erfüllten den Ballsaal der Edinburgher Villa. Die Musiker trugen schwarze Smokings, und ungefähr zwei Dutzend wundervoll gekleidete Paare tanzten unter den Girlanden aus glänzenden Stechpalmenzweigen und duftendem immergrünen Reisig. Die riesigen Kronleuchter aus geschliffenem Kristall hoch über ihren Köpfen brachen das weiche Licht wie Diamanten und warfen glitzernde goldene Akzente auf die Versammlung im Dunklen Hafen. Draußen war es Nacht. Die Läden, die tagsüber die sechs Meter hohe Fensterwand des Tanzsaales hermetisch gegen das Licht abschirmten, waren jetzt aufgeklappt und gaben den Blick frei auf die unberührten, mondbeschienenen Hügel der Highlands, die mit winterlichem Weiß bedeckt waren.
Die Szenerie wirkte perfekt arrangiert, wie ein Foto in einem Hochglanzmagazin.
Elegant, außerordentlich kultiviert und absolut bezaubernd.
Danika hätte am liebsten lauthals geschrien.
Sie gehörte nicht hierher. Es war ein Fehler gewesen, über Weihnachten zurück nach Schottland zu kommen. Noch war sie keine zwei Tage in Edinburgh, und schon würde sie am liebsten sofort den nächsten Flug nach Hause buchen, zurück in ihr ruhiges Leben nach Dänemark. Doch Conlans wohlmeinende Verwandten hatten sie eingeladen, und sie hatte nicht Nein sagen können, auch nicht zu der Party des Stammes heute Nacht. Jetzt stand sie seit zwei Stunden in ihren hochhackigen Sandalen und dem schwarzen Cocktailkleid herum und machte krampfhaft Smalltalk mit sicherlich hundert Leuten, von denen sie niemanden kannte. Dabei schaute sie die Hälfte der Zeit sehnsüchtig zur Eingangstür der Villa hinüber.
»Amüsierst du dich gut, Danika?«
Gott, sie musste sich wirklich zusammenreißen, um die junge Frau neben ihr nicht einfach stehen zu lassen und einen verfrühten Abgang zu machen. Stattdessen lächelte sie ihr zu. »Aber sicher. Die Party ist wundervoll, Emma.«
»Siehst du? Wusste ich doch, dass es dir guttut, mal etwas rauszukommen«, sagte die zierliche Rothaarige. Sie war die Stammesgefährtin eines entfernten Cousins von Con und noch ein richtiges Kind, höchstens Mitte zwanzig. Ihre Haut leuchtete mit der Frische echter Jugend, und sie glühte geradezu im Bewusstsein der ewigen Blutsverbindung, die sie mit dem gut aussehenden Stammesvampir an ihrer Seite geschlossen hatte. Seine dunklen Augen wurden weich, wenn er Emma betrachtete, und er hatte beschützend seinen starken Arm um sie gelegt. Wenn er seine hübsche Gefährtin anlächelte, waren die hervortretenden Fangzähne hinter seinen Lippen deutlich zu sehen. Das Verlangen zeigte sich auch in seinen Augen, in denen glühende, bernsteinfarbene Funken aufblitzten.
Die beiden waren für alle sichtbar wahnsinnig ineinander verliebt, und Danika konnte das Gefühl von Neid auf ihre gemeinsame Zukunft nicht unterdrücken. Sie selbst konnte sich kaum an die Zeit erinnern, als sie frisch verliebt und ihre Blutsverbindung mit Con noch ganz neu gewesen war. Damals hatten sie gedacht, sie würden auf alle Ewigkeit zusammen sein.
Danika wandte den Blick von den Verliebten ab und strich dabei die Trauerschärpe aus scharlachroter Seide glatt, die sie sich umgebunden hatte. Auf das traditionelle weiße Witwenkleid hatte sie verzichtet, doch dieses letzte Symbol ihres Verlustes konnte und wollte sie immer noch nicht ablegen, auch wenn Conlan schon vor anderthalb Jahren gestorben war. Hier in Schottland – Cons Heimat – spürte sie seine Abwesenheit noch deutlicher als sonst. Hier in den Highlands hatten sie zusammen ihre Geschichte geschrieben. Über Jahrhunderte waren sie in ihrer Blutsverbindung vereint gewesen und hatten ein friedvolles Leben geführt. Dann, vor etwa hundert Jahren, hatte Cons Pflicht- und Ehrgefühl sie nach Amerika geführt, wo er ein Krieger wurde und sein Schwert in den Dienst des Ordens stellte.
Nichts hatte ihnen zu ihrem Glück gefehlt, außer einem Kind. Drei Monate vor der fehlgeschlagenen Mission des Ordens, bei der Conlan getötet wurde, hatten sie ihren Sohn Connor gezeugt. Danika hatte das Baby heute Abend gar nicht gerne bei Cons Familie im Gäste-Cottage zurückgelassen, auch wenn es nur für ein paar Stunden war. Connor war alles, was ihr geblieben war, die einzige Verbindung zu ihrem Leben mit Conlan. Sie blickte über die Menge aus lauter Fremden, Stammesvampiren in Zivil und ihren Gefährtinnen – hundert unbekannte Gesichter an einem unvertrauten Ort. Sie
Weitere Kostenlose Bücher