Das Siebte Kind - Das Geschenk der Telminamas (German Edition)
umfangreiches Pflanzenwissen und wusste alle Erscheinungen der Natur zu deuten. Viele ihrer Weissagungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten schon bestätigt.“
Erst jetzt richtete sich Mikus langsam auf und für einen winzigen Moment trafen sich die Blicke der beiden Männer. Mikus schluckte und starrte wieder auf den mit kunstvollem Mosaik verzierten Boden. Jedes Mal wenn er diesen großen Mann mit den kühlen grauen Augen und dem nahezu kahl rasierten Schädel sah, diesen kräftigen Mann in den besten Jahren, der sich stets in schwarzes Leder kleidete und dazu einen goldenen Umhang trug, jedes Mal, wenn er vor König Lergos stand, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken.
Angespannt fummelte er mit seinen runzligen Fingern an den silbernen Knöpfen herum, die seine ansonsten schlichte Mönchskutte zierten.
„Eure Majestät hat mir befohlen, Schriftstücke zu den Gesetzmäßigkeiten zu finden, die unser Dasein bestimmen, Schriftstücke, die die Existenz der Gesetze der Welt bestätigen, von denen unsere Sagen und Legenden so viel erzählen. Laut dieser Kräuterfrau hier gibt es solch ein Geheimwissen tatsächlich. Und sie benennt ein Siebtes Kind, einen jungen Mann, dem es in Zeiten des nie endenden Nebels möglich sein soll, eben diese Gesetze zu entdecken.“
Verstohlen wagte Mikus einen kurzen Blick in das Gesicht des Königs. Eine tiefe Furche hatte sich zwischen seine zusammengezogenen Augenbrauen gelegt.
„Ein siebtes Kind, sagst du. Nun, das wird sich doch wohl finden lassen.“
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Im Dorf angekommen führte Sids erster Weg durch die niedrig gebauten kleinen Steinhäuser hindurch zum Schmied, der ein sehr guter Abnehmer für eingelegte Eier war. Von ihm erhielt Sid eine Handvoll Nägel, die er kurze Zeit später am hintersten Dorfrand beim Ulber-Bauern gegen ein kleines Säckchen mit Salz eintauschte. Gerade als er das kostbare Gut in seinem Brustbeutel verstauen wollte, schossen ihm die mahnenden Worte seiner Mutter durch den Kopf, und Sid entschied sich dafür, das Salzsäckchen lieber in seinen rechten Socken zu stecken. Erleichtert darüber, dass alles so gut geklappt hatte, machte sich Sid auf den Heimweg und kam am Wirtshaus vorbei.
„Hallo Sid, na wieder mal im Ort!“, rief ihm die wohlbeleibte Wirtin zu, die mit ihrem Besen in der Hand gerade große Staubwolken vor der Eingangstür aufwirbelte.
„Hallo Erina. Wie geht`s?“, erkundigte sich Sid und musste husten. Verstohlen musterte er die graue Schmutzschicht, die sich auf Erinas braune Lockenpracht abgelegt hatte.
„Na ja, das Wetter könnte besser sein“, jammerte sie und wischte sich mit einem Tuch aus ihrer Schürzentasche den Schweiß von der Stirn. „Aber warum kommst du nicht rein? Arek ist auch da.“
„ Arek! Das nenn ich einen Zufall“, freute sich Sid und zwängte sich stürmisch an Erina vorbei in die gemütliche Gaststube. Überrascht blieb er stehen. Es hatten sich heute so viele Dorfbewohner an den frisch gescheuerten Holztischen versammelt, dass er längere Zeit brauchte, um den blonden Schopf seines gleichaltrigen Cousins in der hintersten Ecke des überfüllten Raumes zu erspähen. Er drängte sich durch die Männer und Frauen, die ihn alle herzlich begrüßten und wissen wollten, wie es der Familie ging, und war dann sehr froh, als er endlich bei Arek, dem Sohn seines Onkels Helgar, angekommen war und ihn an sich drücken konnte.
„ Arek. Wie schön dich endlich wieder zu sehen“, sagte Sid gerührt.
„Hallo Sid. Ja, so dumm, dass wir gerade in entgegengesetzten Richtungen vom Dorf entfernt wohnen“, bedauerte Arek und zog Sid neben sich auf die Bank. „He, Erina, kannst du uns noch was von diesem Zeug zu Trinken bringen?“
„Das ist kein Zeug!“, rief Erina entrüstet über die Köpfe der Versammelten hinweg und stellte ihren Besen neben die Eingangstür. „Das ist Anire-Saft.“
Mit leicht gekränkter Miene verschwand sie in der Küche und kehrte wenig später mit mehreren großen Tonkrügen in den Händen zurück in die Stube. Bis auf zwei davon verteilte Erina alle in der Menge, dann trat sie zu Sid und Arek und stellte die verbliebenen Krüge hart vor ihnen auf den Tisch.
„Das ist jetzt das Letzte für dich, Arek“, sagte Erina streng und stützte ihre Hände in die Hüften. „Dieses Zeug ist nichts für Jungs.“ Sie warf ihm noch einen spitzen Blick zu und wandte sich dann um.
Sid grinste und zog einen der Krüge näher zu sich heran. Misstrauisch
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