Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
hatten, bog der Weg nach Nordwesten ab.
»In alten Zeiten folgten die Pilger dem direkten Weg, der zum Kloster Irache führte, aber heutzutage nimmt man den Umweg über Stella«, brach Pater Bertran das Schweigen.
»Wir nehmen absichtlich einen Umweg?«, stöhnte André. »Warum denn das um alles in der Welt?« Er hinkte deutlicher als vorher.
»Manche Pilger gehen Umwege, weil sie eine Templerkapelle sehen möchten.« Der asketische Augustinerpater ließ den Blick über André gleiten. Juliana wunderte sich. Woher wusste er das? Hatte der junge Ritter ihm davon erzählt?
»Andere tun es – wie im Falle von Stella – sozusagen auf königlichen Befehl«, fuhr Pater Bertran fort.
»Königlichen Befehl? Wie meint Ihr das?«, wollte André wissen. »Hat der König von Navarra – wie heißt er noch gleich? Ludwig, ja der Sohn des Franzosenkönigs Philipp »le Bel«, wie sie sagen, hat der bestimmt, dass die Pilger durch Stella reisen?«
Der Pater schüttelte den Kopf: »Nein, diese Entscheidung wurde von König Sancho Ramírez getroffen und liegt schon mehr als zweihundert Jahre zurück.«
»Oh, so lange schon«, wunderte sich der junge Ritter.
»Dem König gefiel die »Stadt des Weidenbaums«, Lizarra, wie sie auf Baskisch heißt, und er holte sich die Franken ins Land. Noch heute hört man in den Gassen mehr Französisch und Provenzalisch als Baskisch. Jedenfalls dachte sich der kluge Monarch, dass der Pilgerweg durch seine Stadt eine gute Sache sei und den Handel belebe.«
»Das hatte er sicher nicht falsch eingeschätzt, der König Sancho« , sagte Bruder Rupert. »Das konnten wir bereits in Pampalona erleben.«
»Ja, da habt Ihr Recht. Doch des einen Freud ist des anderen Leid. Die Benediktinermönche des prächtigen Klosters Irache waren sehr erzürnt, dass die Pilger nun nicht mehr an ihre Pforten klopfen sollten, wie es so lange Tradition war.«
»Dann muss das Kloster aber schon sehr alt sein«, wunderte sich Juliana. Der Augustinerpater nickte.
»Ja, es soll einer der ältesten Konvente entlang des Weges sein. Ich bedaure, dass wir diese prächtige Anlage nicht besuchen werden.«
»Meint Ihr nicht, dass es inzwischen recht verfallen ist, wenn es schon vor so langer Zeit vom Strom der Pilger und des Geldes abgeschnitten wurde?«, wandte Bruder Rupert ein.
Pater Bertran zog eine Grimasse, die ein Lächeln bedeuten konnte. »Die Mönche wussten es zu verhindern, dass die Geldquelle völlig versiegte. Ich weiß nicht, wie sie es anstellten, aber König Sancho kam, sie zu beschwichtigen, und versprach ihnen zum Trost ein Zehntel der königlichen Einnahmen aus der neuen Stadt Stella.«
»Ich dachte, ihr Mönche sollt eure Stimme nur zu Gottes Lob verwenden und nicht den ganzen Tag sinnlos daherplappern«, fiel ihm Ritter Raymond ins Wort. Der Pater schloss beleidigt den Mund und warf dem blonden Ritter aus der Dauphiné einen wütenden Blick zu, den dieser kaum freundlicher erwiderte.
»Ich finde es interessant, mehr über die Orte zu erfahren, durch die wir wandern«, verteidigte André den dürren Augustinermönch.
Bruder Rupert runzelte die Stirn und ließ den Blick nachdenklich über den Mann in seiner schwarzen Kutte wandern. »Ihr wisst wirklich sehr viel«, sagte er und sprach damit Julianas Gedanken aus. »Und das stand alles in Eurem Pilgerführer?« Seine Stimme machte deutlich, für wie wenig wahrscheinlich er das hielt.
»Nein«, schnappte der Pater und patschte auf seinen Sandalen noch schneller über die trockene Landstraße.
»Dann wart Ihr schon einmal in Navarra?«, drängte André.
Ritter Raymond stieß einen erstickten Laut aus, aber der Pater kümmerte sich nicht um ihn. »Ja, und nicht nur einmal«, sagte er kurz und warf dem blonden Ritter einen Blick zu, den Juliana nicht zu deuten wusste.
Raymond schien schlechter Laune zu sein. Vielleicht litt er Schmerzen, oder die Sonne bereitete ihm Übelkeit. »Könnt Ihr nicht einfach mal den Mund halten?«, fauchte der Ritter Pater Bertran an. »Wen kümmern diese alten Geschichten?«
»Mich!«, rief André und funkelte den anderen Ritter herausfordernd an.
»Junger Narr!«, schimpfte Raymond de Crest.
»Oh, ich habe nicht vor, mir von diesem Schwertschwinger den Mund verbieten zu lassen«, wehrte sich Pater Bertran und erzählte André die Geschichte eines großen Heiligen, der in Irache einst Mönch war und später zum Abt ernannt wurde. »Entgegen seiner Anweisungen pflegte er unter seinem Habit Brot für die Armen aus
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