Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
sie an einem Ort verbergen, wo sie keiner mehr aufspürt, die Überreste gar völlig zerstören, dass der Wind die Asche davonträgt, aber kann man auch den Tod des Mannes aus der Welt schaffen? Und den Mord an Vetter Swicker? Und die Schande, die auf der Familie lastet?
Zu ihrer Überraschung kommt der Pater ihr zu Hilfe. »Ich werde mit Juliana ein wenig in den Hof gehen. Es hat aufgehört zu regnen. Es tut ihr sicher gut, wenn sie ihrem Beichtvater ihr Herz öffnen kann und wir gemeinsam beten.«
Juliana sieht, wie die Mutter hadert, aber was will sie dagegen sagen? Ihre Hände streichen nervös über den bestickten Brokat ihres Surkots. »Nun gut, dann nimm den warmen Umhang mit, mein Kind, die Nachtluft ist voller Tücke.«
Das Mädchen fürchtet in diesen Tagen mehr die Tücke der Menschen, die sie so gut in ihren Herzen verbergen, als die der Natur, die ihr plötzlich friedlich erscheint. Dennoch widerspricht sie nicht, holt den Umhang aus der Kammer und eilt
dann in den Hof hinunter, wo Gerold von Hauenstein schon auf sie wartet.
Sie hat so gehofft, Antworten zu erhalten. Wieder einmal wird die Geduld des Ritterfräuleins auf eine harte Probe gestellt, denn der Dekan hat selbst viele Fragen und will alles der Reihe nach hören. Kein Detail ist ihm zu unwichtig, als dass man es übergehen dürfte.
»Ich kenne die Ereignisse, wie sie sich aus der Sicht deiner Mutter darstellen, und ich habe mit den beiden Templern gesprochen, nun möchte ich alles aus deinem Blickwinkel erleben.«
»Jedenfalls ist es eine gemeine Lüge, wenn sie behaupten, ich hätte den Palas mit unkeuschen Absichten verlassen!«, bricht es aus ihr heraus. »Wie kann die Mutter solch einer Verleumdung auch nur einen Augenblick Glauben schenken?«
»Sei nicht verbittert. Welchen Anlass hätte sie, die Worte des Tempelritters in Zweifel zu ziehen?«
»Ich bin ihre Tochter, ihr Fleisch und Blut!«
»Und du hast sie niemals angelogen?«
Beschämt senkt Juliana den Kopf. »Schon, aber nicht, wenn es um Leben oder Tod geht!«
»Ja, um den Tod geht es in diesem Fall ganz sicher«, sinniert er, während er das Fräulein nahe der Mauer entlangführt, wo sie vom Abendwind geschützt sind. Der Regen hat die Sommerluft abgekühlt, doch es ist nicht so kalt, dass man eines Wollumhangs bedurft hätte. Die Hand des jungen Mädchens ruht entspannt in seiner Armbeuge, ihre Schritte haben ohne Not zueinander gefunden. Welch schöner Abendspaziergang, gäbe es da nicht eine fast vollständig verweste Leiche, von der sie nur eine Mauer trennt.
»Hast du den Toten gesehen?«, will der Dekan wissen. Juliana schüttelt den Kopf.
»Die Mutter wollte mich nicht zu ihm lassen – nun ja, und
mir war von dem Gestank so übel geworden, dass ich sie nicht weiter drängte. – Soll ich mir die Leiche denn ansehen? Wäre es möglich, dass ich den Mann erkenne?«
»Nein, nein«, wehrt er viel zu schnell ab. »Das ist nicht nötig.«
»Weiß die Mutter denn gar nichts über diesen Vorfall?«, bohrt Juliana weiter. »Oder will sie nur nicht darüber sprechen. Es ist unbegreiflich. Wie ist er in unser Verlies gekommen, das doch schon seit Jahren nicht mehr benutzt wird?«
Der Dekan muss plötzlich husten und wendet sich ab. Sein Gesicht ist ein wenig gerötet, als er weiterspricht.
»Berichte mir lieber noch einmal genau, was du in der Nacht gesehen und gehört hast. Der Tempelritter war also schon vor dir in der Burg unterwegs, und du sahst nur den Wappner aus dem Palas treten?«
Juliana nickt und wiederholt, wie sich die Begegnung in der Nacht zugetragen hat. Sie martert ihr Gedächtnis auf der Suche nach den genauen Worten, die die beiden Männer gebraucht haben.
»Ich denke jedenfalls, der Franzose wollte nicht, dass Bruder Humbert von seinem Treiben erfährt«, sagt sie zum Schluss. »Doch als er von ihm entdeckt wurde, fügte er sich in sein Schicksal. Wenn ich nur wüsste, ob er auf der Suche nach etwas Bestimmtem war oder ob er nur aus Neugier herumschnüffelte.« Der Dekan schweigt. »Jedenfalls hat er nicht mit dem Toten gerechnet – zumindest nicht an dieser Stelle – da bin ich mir sicher.« Sie starrt auf den Saum ihres Rockes, unter dem bei jedem Schritt eine der gebogenen Schuhspitzen hervorlugt. Schweigend kaut sie auf ihrer Unterlippe. Ihr Begleiter wartet geduldig. Plötzlich bleibt sie mit einem Ruck stehen und sieht ihn an. Ihre Augen blitzen voller Zorn.
»Und dann behauptet er vor Mutter und den anderen, er sei mir gefolgt! Ich
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