Das silberne Zeichen (German Edition)
Scheiffart zumeist übler oder zumindest gereizter Laune gewesen war, verbreitete van Oenne eine unerschütterliche Heiterkeit.
So lächelte er sie auch jetzt fröhlich an. «Meine Liebe», begann er, «ich möchte Euch noch einmal sagen, wie beeindruckt ich von den Fortschritten bin, die Eure Gesellen an dem Schrein für unsere Chorhalle machen. Die Schnitzereien sind köstlich! Schade nur, dass es mir bislang verwehrt war, den kunstfertigen Schnitzer, Euren zukünftigen Gemahl, höchstselbst kennenzulernen. Wisst Ihr inzwischen, wann Ihr ihn zurückerwarten dürft?»
Marysa senkte den Blick. «Es wird nicht mehr lange dauern, Herr van Oenne. Das Reisen ist um diese Jahreszeit nicht eben angenehm. Aber ich bin sicher, Christoph wird erfreut sein, wenn ich ihm bei seiner Rückkehr von Eurem Lob erzähle.»
«Ah, ich bestehe darauf, dass Ihr, sobald er hier ist, nach mir schicken lasst, damit ich es ihm selbst kundtun kann», sagte van Oenne. «Ich hoffe wirklich, er lässt Euch nicht mehr allzu lange warten – Wetter hin oder her. Eine junge hübsche Frau wie Ihr sollte alsbald als strahlende Braut vor die Kirchenpforte treten. Ich hoffe doch, dass ich das Vergnügen haben werde, Euch auch dazu persönlich gratulieren zu dürfen, wenn es so weit ist.»
Marysa errötete bei seinem schmeichelnden Tonfall. «Gewiss seid Ihr eingeladen, Herr van Oenne.»
«Schön, schön.» Er nickte ihr herzlich zu. «Und nun zum Geschäftlichen, meine Liebe. Ich habe Euch nämlich einen Vorschlag zu machen. Gerne hätte ich diesen sogleich mit Eurem zukünftigen Gemahl besprochen, denn er wird ja in Kürze der neue Meister Eurer Werkstatt sein, nicht wahr? Aber da ich Euch kenne und um Eure Tüchtigkeit in Geschäftsdingen weiß, nehme ich gerne zunächst mit Euch vorlieb. Es geht nämlich um eine Sache, die keinen Aufschub duldet.»
«Das klingt ja sehr spannend, Herr van Oenne», bemerkte Marysa. «Worum handelt es sich?»
Der Domherr richtete sich auf und setzte eine gewichtige Miene auf. «Wie Ihr wisst, erwartet Aachen im Herbst die Ehre von König Sigismunds Besuch. Nicht nur das, er wird sich hier nach altem Brauch seine Königskrone abholen. Das bedeutet große Feierlichkeiten, viele Besucher, Pilger und so fort.» Er hielt kurz inne und Marysa nickte. Daraufhin fuhr er fort: «Leider musste das Stiftskapitel den Auftrag an Euch über mehrere große Reliquienschränke vorläufig zurückstellen, wie Ihr wisst. Die Sabotage an der Chorhalle im vergangenen Herbst und die Beseitigung der Schäden, insbesondere die neuen Glasfenster, haben erhebliche Kosten verursacht, wie Ihr Euch denken könnt.»
Wieder nickte Marysa.
«Ja nun, und so kamen wir auf den Gedanken, zu den kommenden Feierlichkeiten etwas Neues zu versuchen, um unsere leeren Kassen wieder etwas zu füllen. Wir erwarten nicht nur viel Fußvolk und Schaulustige, sondern auch eine große Anzahl weltlicher und kirchlicher Würdenträger. Das gesamte Reich wird in diesen Tagen auf Aachen schauen, und nicht wenige Familien des Adels haben ihren Besuch bereits angekündigt. Und so, wie für die gewöhnlichen Pilger unsere Zinngießer Pilgerabzeichen in großen Massen herstellen und verkaufen, möchten wir, also das Marienstift, künftig ebenfalls Pilgerzeichen anbieten. Jedoch nicht solche aus Zinn, sondern aus weit edlerem Material, welches den hohen Herrschaften viel eher gefallen wird. Die Pilgerzeichen sollen aus Silber gefertigt werden, Frau Marysa.»
«Aus Silber?» Marysa runzelte überrascht die Stirn. «Damit dürften sie für den gemeinen Pilger ohnehin unerschwinglich sein. Doch was hat das nun mit meiner Werkstatt zu tun? Auf das Schlagen von Silber verstehe ich mich nicht. Und selbst mein Vater, der Goldschmied, dürfte nicht der richtige Ansprechpartner sein.»
«Gewiss nicht.» Der Domherr lachte. «Denn Abzeichen aus Gold wären dann doch ein wenig übertrieben, nicht wahr? Nein, es geht um Folgendes, Frau Marysa. Jene silbernen Zeichen sind natürlich viel zu wertvoll, um sie in Pilgermanier einfach an den Mantel zu nähen. Deshalb schwebt uns vor, sie in kleinen hölzernen Amuletten feilzubieten. Eure Gesellen fertigen ganz vorzügliche Reliquiare in Miniaturform. Jene, die Ihr während der Einweihung der Chorhalle verkauft habt, sind zwar einfach und schmucklos gewesen, doch nachdem ich die Kunstfertigkeit Eures zukünftigen Gatten bewundern durfte, bin ich überzeugt, dass in Eurer Werkstatt die passenden, würdigen Behältnisse gefertigt
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