Das silberne Zeichen (German Edition)
etwas …»
«Langsam», half Jolánda nach. «Ja, den Eindruck habe ich auch. Mag sein, er hat eingesehen, dass du ihm in vielen Dingen überlegen bist. So sanftmütig er sein mag – nicht jeder Mann verträgt es, mit einer klugen Frau zusammenzuleben.» Bedeutungsvoll blickte sie Bardolf von der Seite an.
Er lachte. «Schon gar nicht, wenn sie dein Temperament geerbt hat.» Seine Finger wischte er sich am Tischtuch ab und wandte sich an Marysa. «Dann wird Leynhard also trotz deiner Abfuhr in deinem Dienst bleiben?»
«O ja, ganz bestimmt. Natürlich habe ich ihm angeboten, sich einen anderen Meister zu suchen. Er meinte jedoch, woanders könne es ihm gewiss nicht bessergehen als hier.»
«Womit er nicht unrecht hat», befand Jolánda. «Bei den bedeutenden Aufträgen, die du immer wieder erhältst, vor allem durch das Marienstift, kann er sich ja immerhin einen ausgezeichneten Namen erarbeiten und damit dann möglicherweise die Tochter eines der anderen Meister für sich gewinnen.»
Marysa nickte. «So scheint er es auch zu sehen, und ich bin froh darüber. Er ist ein sehr fähiger Schreinbauer. Ohne ihn könnte ich die Werkstatt ganz sicher nicht über Wasser halten, solange Christoph fort ist.»
«Womit wir wieder beim Thema wären», sagte Bardolf trocken. Er sprach jedoch nicht weiter, da in diesem Moment Marysas junger Knecht Milo die Stube betrat.
«Verzeihung.» Er grinste in seiner typischen Straßenjungenmanier und fuhr sich mit den Fingern durch seinen braunen Haarschopf. «Ich wollt’ nur sagen, dass es angefangen hat zu schneien – und nicht zu knapp, Frau Marysa. Wenn Ihr heute noch nach Hause gehen wollt, sollten wir gleich aufbrechen.»
«Ach herrje!», rief Jolánda erschrocken. «Nein, mein Kind. Du musst unbedingt hierbleiben. Du wirst krank werden, wenn du jetzt durchs Schneetreiben läufst. Und das ist ganz sicher nicht gut für …» Bardolf stieß sie unsanft an, und sie verstummte erschrocken.
«Ach was, so schlimm wird es schon nicht sein.» Marysa trank den letzten Schluck Wein aus ihrem Becher und erhob sich. «Der Weg ist nicht weit, und ich möchte gern zu Hause sein, falls …» Auch sie sprach nicht weiter, ihre Eltern hatten sie auch so verstanden.
«Sieh dich vor, dass du nicht ausrutschst», mahnte Jolánda, während sie neben ihrer Tochter die Stube verließ und ihr in den Mantel half. «Milo, du musst sehr gut achtgeben auf deine Herrin, hast du verstanden?»
«Klar, mach ich ja immer.» Milo nickte fröhlich und zog sich seine graue Gugel über den Kopf. «Kommt, Frau Marysa, ich gehe Euch voraus, dann könnt Ihr in meinen Fußstapfen laufen.»
Marysa lachte. «Das ist nicht …» Sie blieb überrascht an der Tür stehen. «Oh! Tatsächlich, das ist nötig.» Nun doch etwas erschrocken, blickte sie auf das dichte Schneetreiben. Die weiße Pracht hatte sich bereits knöchelhoch über die Straße verteilt.
«Marysa, du solltest wirklich hierbleiben», protestierte Jolánda, als ihre Tochter trotz des Schneegestöbers ins Freie trat. «Es ist unvernünftig, durch dieses Wetter zu laufen!»
Marysa drehte sich noch einmal zu ihr um. «Ich weiß, Mutter. Aber was, wenn er heute eintrifft?»
«Um diese Zeit sind die Stadttore längst geschlossen», argumentierte ihre Mutter, doch dann seufzte sie. «Ich weiß. Das wird ihn vermutlich nicht abhalten. Also geh schon. Aber bitte sei …»
«Vorsichtig. Ja, Mutter. Mach dir keine Sorgen.» Marysa hob zum Abschied die Hand, dann marschierte sie dicht hinter Milo los. Er hielt die brennende Pechfackel so, dass Marysa erkennen konnte, wohin sie trat. Immer wieder zischte es leise, wenn Schnee mit dem Feuer in Berührung kam. In den Straßen Aachens war es stockfinster. Nur durch die Ritzen fest verschlossener Fensterläden drang etwas Licht. Dicke weiße Flocken stoben um Marysas Gesicht und legten sich auf ihre Kapuze und ihre Schultern.
«Geht es, Herrin?» Milo blickte sich prüfend nach ihr um. «Ganz schön übles Wetter, was?»
«Das kann man wohl sagen», erwiderte sie.
«Nicht gut zum Reisen.»
«Nein.»
Milo blieb kurz stehen und blickte sie an. «Ihr glaubt trotzdem, dass er heute kommen könnte. Oder morgen oder …»
«Das wird er, Milo.»
«Und Ihr wollt seine Ankunft nicht verpassen.»
Sie antwortete nicht, sondern gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er weitergehen sollte. Sie hatten den Markt bereits erreicht. Bis zum Büchel, wo ihr Haus stand, war es nun nicht mehr weit.
Schweigend
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