Das singende Kind
tat sich mit keiner anderen zusammen und blieb auch in Zandvoort allein.
Grete Fortgang gab nie auf, Trudi Gertrud zu nennen, und bedauerte einmal mehr, daß sie selbst nur Grete hieß, als hätte das ihr Leben klein gehalten. Für Georg hatte sie Größeres gehofft, und sie ließ nicht von dem Gedanken, daß Trudi eine Aufgabe für Georg war, die ihn davon abhielt, bedeutend zu werden.
Was Trudi entbehrte, war die Geschichte einer romantischen Liebe. Weniger das Gefühl als die Geschichte dazu, die sie mit sich hätte herumtragen können. Vor Georg hatte es nur einen Mann gegeben, der eher ihr Entjungferer als ihr Liebhaber gewesen war, wie andere Erzeuger sind und keine Väter.
In den Tanzschulen, Schauspielkursen, Kellertheatern, die sie durchlaufen hatte, schloß sie sich den Homosexuellen an, die ihre Gefährten waren, ohne die Hand auf sie zu legen, und von den Lafleurs aufgenommen wurden wie geschenkte Söhne.
Romantisch war in ihrem Leben bisher nur das Schwärmen gewesen, für einen Sänger oder Schauspieler. Einen Unerreichbaren jedenfalls. Trudi fand Nähe und Trost darin, daß sie und er wenigstens Zeitgenossen waren.
Trudi war in großer Gefahr, den Mann, der ihr das Erlebnis unter dem Flügel beschert hatte, zu verklären. Manchmal strich sie mit dem Daumen über die rötliche Stelle auf ihrer Brust, an der die kleine Wunde gewesen war, und erinnerte sich dann kaum noch an die empfundene Angst und das viel deutlichere Gefühl der Demütigung. Die Schönheit des jungen Mannes glich der Schönheit derer, für die sie einmal so geschwärmt hatte. Sein Klavierspiel lag weit über dem, was sie gewohnt war zu hören, und Trudi liebte es, wenn Männer Klavier spielen konnten. Die Kränklichkeit, die über allem hing, das, was Georg und auch Jos als Dekadenz abgetan hätten, das faszinierte Trudi, je länger sie es in ihrem Kopf trug.
Felix begann eine romantische Idee zu werden.
Trudi hatte das Haus, in dem er lebte, in klarer Erinnerung. Sie würde dahin finden und es unterscheiden können von den verwechselbaren, die daneben standen. Ab und zu, wenn sie über die weichen Blüten ging, die die Kastanienbäume abgeworfen hatten, wenn die Sonne durch das Laub sickerte und Trudi auf die Schatten der Blätter trat, stellte sie sich vor, zu dem Haus zu kommen, das Tor zu öffnen und das Klavier zu hören. Wenn Trudi dann ganz und gar vom Frühling eingelullt war, sah sie sich und Felix auf dem Parkett liegen, und diesmal in sanfter Umarmung.
Kam sie unter den Bäumen hervor, war die Vision vorbei. Trudi bog in die Straße ein, in der sie und Georg lebten, und sie hatte keinen Zweifel daran, daß es niemals soweit kommen würde.
Georg ging hinter Jos her und las die Blüten auf, die Jos' Schuhe auf dem schwarzen Teppichboden ließen.
»Du benimmst dich wie eine zickige Zimmerwirtin«, sagte Jos, »wenn du mal wieder vor die Tür gehen würdest, kämst du auch mit ein bißchen Frühling unter den Sohlen zurück.«
»Ich habe gerade gesaugt.«
»Gibt es irgendwas, das Trudi hier noch tut?«
»Ich bereue, daß ich das mit der Dux angezettelt habe. Hätte sie da doch ewig weitersingen sollen. Seitdem ist sie kaum ansprechbar, und wenn sie was sagt, klingt es konfus. Sogar für Trudis Verhältnisse.«
»Wann habt ihr das letztemal miteinander geschlafen?«
»Du reduzierst wirklich alles nur darauf.« Georg warf die Blüten in den Papierkorb und setzte sich an seinen Eichentisch. »Ich weiß nicht«, sagte er, »eine Weile ist das schon her, und Trudi ist nicht gekommen dabei. Das tat sie sonst immer.«
»Was sagt sie denn?«
»Daß bald etwas passieren wird. Sie sagt nicht, was.«
»Wunschdenken. Trudi hat ihr bisheriges Leben als Soundtrack laufen lassen, und jetzt hofft sie, daß irgend jemandem eine Handlung dazu einfällt.«
»Und du glaubst, ich bringe die nicht hinein?«
»Ich weiß nicht, was da schiefläuft. Eure Nummer als Vater und Tochter hat doch bisher gut geklappt.«
»Würdest du Trudi nicht an die Hand nehmen?«
Jos zuckte die Achseln. Er zog den Karton heran, der auf dem Tisch stand, und hob den Deckel. Zuoberst lag das Foto der kleinen Vietnamesin, die schreiend und schon verbrannt vor dem Napalm flieht. Jos nahm es und drehte es um. Kim Phuc, neun Jahre alt, stand da. Jos legte Kim Phuc zurück und schloß den Karton. »Ich denke, daß Trudi schon zuviel an die Hand genommen worden ist«, sagte er, »darum gelingt ihr auch nichts.«
»Was soll ich denn tun?« fragte
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