Das singende Kind
es nicht tust.«
Jos winkte ab. »Dir ist nicht zu helfen.«
»Ich will nicht, daß du Aggressionen gegen Trudi entwickelst. Sie kann nichts dafür. Ihre Vorgeschichte ist schuld. Trudis Eltern waren einfach viel zu ängstlich mit ihr.«
»Klar«, sagte Jos, »die Vorgeschichte als Täter.« Er stand auf, um sich ein paar Schritte weiter auf dem Sofa niederzulassen und die Füße auf das Seitenpolster zu legen.
»Nicht mit den Schuhen«, sagte Georg.
»Und du führst das Ganze fort und verschonst sie auch noch vor dem normalen Leben.«
»Nimm bitte die Füße herunter.«
Jos nahm sie herunter. »Soll ich die Maschine nun verkaufen?«
»Vielleicht nimmt der Laden sie zurück.«
»Soll ich dir Geld leihen?«
»Du hast doch selber nichts.«
»Ich habe keine Frau an der Hacke.«
»Wir schaffen das schon«, sagte Georg. Er ging zu Jos hin und setzte sich neben ihn. »Ich liebe Trudi.«
»Ja«, sagte Jos und schaute ihn aufmerksam an, »ich weiß.«
Jos Verwey war vier Jahre alt, da ging seine Mutter auf und davon. Er erinnerte sich an sie als eine große heitere Frau, die lieb mit ihm war und lieb mit dem Vater. Ihr Fortgehen hatte sich nicht angekündigt, nicht ihm, und Joseph Verwey sprach kaum darüber.
In ihren guten Momenten, wenn sie gelöst war, sah Trudi seiner Mutter ähnlich, jedenfalls in der Vorstellung, die Jos noch von Inge Verwey in sich trug. Ihre Spuren schienen verwischt. Jos hatte sie aufzunehmen versucht, als er endlich alt genug war, es alleine zu tun. Er glaubte zu wissen, daß sie lebte. Vielleicht mit einem anderen Sohn. Sicher mit einem anderen Mann. Jos sah sie manchmal vor sich. Im Schoße der neuen Menschen. Ihr dunkelblondes dickes Haar fiel offen über ihre Schultern. Doch ihr Gesicht blieb meist verschwommen. Bis auf die Augen, die ein bißchen müde, aber ungeheuer zärtlich schauten, auf einen Jungen, der aussah wie Jos.
Er besaß ein Foto von ihr. Ein einziges. Die vielen, die der Vater noch eine Weile in einem Karton gelassen hatte, den er in seinem Kleiderschrank verborgen hielt, waren verbrannt. Jos roch noch den Rauch, der durch die Zimmer zog, und hörte die Spülung des Klos, das zur Opferstätte der verlorenen Liebe wurde. Kleine Häufchen Asche, die schnell aufweichten. Verlobungsfotos. Hochzeitsfotos. Fotos mit Jos und der Mutter. Alles weggespült.
Trudis Augen schimmerten in einem blassen Blau. Tinte, die nicht aus der Wäsche zu waschen war. Das erste, was ihm auffiel an ihr, als Georg ihm das große träge Mädchen vorführte. Er hatte gleich verstanden, warum Georg sie liebte.
An seinem dreißigsten Geburtstag war es gewesen, daß Jos den Vater anrief und ihn nach der Farbe der Augen fragte, das schwarzweiße Foto in der Hand. Er hatte viel getrunken gehabt. Anders hätte er es nicht gewagt. Blau, sagte Joseph Verwey und zögerte nicht mal mit der Antwort. Aquamarine. Für Augen zu hell.
Georg hockte auf dem Boden, als Trudi ihn das erste Mal sah. Es hielt ein Bilderbuch in der einen Hand und stützte sich mit der anderen ab. Das Kind, das vor ihm stand, war ein kleines Stück größer als Georg in der Hocke, und es wußte zu schätzen, daß er sich klein gemacht hatte, und schenkte ihm alle Aufmerksamkeit, und Georg gab sie zurück. Er lehnte den Wein ab, die Gespräche. Er widmete sich dem Kind so lange, bis es das Interesse verlor.
Kinderliebe. Auf Trudi wirkte sie mit einer Anziehungskraft, die auch Klavierspiel nicht auf sie hatte. Ein Mann mit einem Kind auf dem Arm ließ ihr Herz klopfen, und ihr liebstes Foto von ihrem großen Schwarm zeigte ihn mit seinem Baby auf der nackten Brust. Trudi traute den kinderlieben Männern mehr als jedem anderen Mann. Sie fühlte sich geborgen in ihrer Gegenwart und erregt.
Georg war etwas steif hochgekommen. Das Hocken hatte ihn angestrengt. Er strich das weiche hellbraune Haar zurück, das ihm in die Stirn gefallen war, rückte die Brille zurecht und lächelte Trudi an. Er hatte ihren Blick im Rücken gespürt und war dankbar gewesen, als der Kleine ihn freigab und er sie sehen konnte.
Ihr erstes Gespräch war eines über Kinder, und Trudi fühlte sich damit auf einem viel sichereren Terrain als Georg. Er hatte gerade die Abtreibung eines Kindes bezahlt, das nicht seins gewesen war, und er mochte Jos nicht mal böse sein.
Ich will Spuren hinterlassen, hatte Trudi schon damals gesagt und Georg dann von ihrer Kunst erzählt, und er war erleichtert, zu hören, daß sie die Spuren nicht nur durch ihre Kinder
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