Das spanische Medaillon
beide beobachtete?«
Humboldt sah mich fast verächtlich an.
»Marquise! Sie werden verzeihen. Wenn ich zu Madame Bernard gehe, dann bestimmt nicht, um mir meine Geschlechtsgenossen anzuschauen! Mein Augenmerk gilt den weiblichen Erscheinungen im Bernard’schen Haus. Und da war eine, die mein besonderes Interesse auf sich zog. Auch das von Mister Gélieu, nebenbei bemerkt! Julietta heißt sie und ich muss sagen, schönere ... Ohren und Augen hab’ ich nie gesehen.«
Das reichte, fand ich und Jérômes Gesichtsausdruck pflichtete mir bei.
»Sie sollten sich vorsehen: Keine Einladung an Unbekannte. Und keine abendlichen Besuche in der Halbwelt!«
»Halbwelt? Ich bitte Sie, die Halbwelt ist mit königlichem Erlass vom 8. Mai an die Königsmauer verbannt.«
»Der Kopfkürzer aber hält sich nicht daran. Wenn es ihm daran gelegen ist, den Kopf unserer Universität abzuschlagen, so wird er nicht zögern!«
Humboldt fasste sich unwillkürlich an den eigenen Hals. Ob es der voraussichtliche Verzicht auf lieb gewordenen Genuss oder die Furcht vor dem Unbekannten war, die ihn zu dieser Geste nötigte, konnte ich nicht entscheiden. Während wir uns bereits wieder zum Ausgang vorarbeiteten, sagte Humboldt zu Jérôme:
»Nun gut, die Umstände sind nicht danach, ich sehe es ein. Doch Sie sollten sich einmal überlegen, wie es wäre, an der Königlichen Universität das physikalische Labor zu betreuen. Das Salär ist nur symbolisch! Aber Sie würden die Besten der Besten des Nachwuchses kennenlernen. Überlegen Sie es sich!«
»Mein Herr, ich bin alles, nur kein Hausdiener oder Kindergärtner! Falls die Universität für ihr Labor optische Instrumente benötigt, so mag man gerne bei mir ordern. Besondere Konditionen nicht ausgeschlossen.«
»Oh, bedaure, unser Etat ist sehr, sehr beschränkt. Ich denke, der König wird Sie noch persönlich um eine Sachmittelspende ersuchen.«
9
Der Tag verlief in Trauer. Jérôme war wie paralysiert. Vor Stunden noch voller Vorfreude auf den Freund – jetzt schon in Verzweiflung über sein scheußliches Ableben. Mir ging es nicht besser. Ich war wütend, weil ich nicht wusste, was vorging. Wut ist ebenso unproduktiv wie Trauer.
»Ich will mehr wissen über den letzten Abend deines Freundes. Lass uns die Bernard fragen, ob sie etwas gesehen hat. Oder diese ... Julietta«, sagte ich endlich, nach Stunden des Brütens über unentwirrbaren Fäden.
» Du willst ins Bernard’sche Tanzbordell gehen?«, entsetzte sich Jérôme.
»Wenn du fürchtest, in meiner Gegenwart von den Damen verraten zu werden, die du immer aufsuchst, wenn du ohne mich in Berlin bist, dann gesteh lieber gleich! Wer weiß, vielleicht kennen sie dich ja auch schon aus der Zeit, da wir in Berlin lebten?«
»Mach keine dummen Scherze!«, sagte er ehrlich entrüstet.
»Ich sorge mich nicht um mich, sondern um dich ! Wo so viel Rohheit und so viel Vulgarität herrschen, da kann ich mir dich einfach nur sehr schwer vorstellen.«
»Halb so schlimm, ich hab’ schon verrufenere Orte gesehen!«, respondierte ich leichthin, obwohl mir beim besten Willen keiner einfallen wollte.
»So – welche denn?«, setzte er unbarmherzig nach, doch mein Gehirn arbeitet unter Druck immer am besten.
»Den Platz der Revolution in Paris!«, sagte ich.
So machten wir uns gegen neun Uhr des Abends zitternd auf den Weg. Als die Franzosen in Berlin einzogen, war der zuvor erstorbene Bordellbetrieb in der Friedrichstadt aufgeblüht wie der Kaktus nach dem Regen. Jetzt war unser König darauf bedacht, die behauste Unmoral wieder an den Stadtrand und in die dunkle Gasse vor der Königsmauer zu treiben. Doch wie schon zu Zeiten Friedrichs des Einzigen verstanden es die Betreiber, ihre Etablissements den veränderten Ordres und moralischen Zeitläuften anzupassen, ohne die Bedürfnisse ihrer Klientel zu vergessen. Ein galantes Lokal am Stadtrand oder in einer verrufenen Gasse – das lockte in Berlin keinen mehr an. Hier mussten Glanz und pulsierendes Leben nur einen Schritt entfernt sein, das allein machte den Reiz des Verbotenen für die Hauptstädter aus.
Sophie Bernard, die ihr Gewerbe zuvor in Hamburg betrieben, war mit den Franzosen in die Stadt gekommen und hatte den Kaiser selbst samt seiner Camarilla zum Gast gehabt. Nun war aus dem Bordell in feinster Lage nach außen hin ein Tanzlokal geworden. Jeder wusste, was es eigentlich war, doch da auch die Polizisten nur Männer sind und die gesamte feine Welt hier ein und aus ging, hatte
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