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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Weinbouteillen.
    »Eine Zumutung: Sie schließen das Hauptgebäude und die Bibliothek am Sonntag! Das wird der nächste kleine Kampf: An der Universität darf es keinen Sonntag geben. Der menschliche Geist ist rastlos tätig. Der Studierende muss ihn immerfort an einem ruhigen und mit Büchern versehenen Orte nähren können – zum Behufe raschestmöglicher Entwicklung des in ihm ruhenden Potenzials –, ohne kleinliche Wochentagsregelung. Man kann ja schlecht immer das Boudoir der Madame Bernard aufsuchen, wenn man einen ruhigen Ort zum Studieren sucht!«
    Der Geheime Staatsrat und Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht im Ministerium des Inneren zwinkerte Jérôme zu, als ob ich nicht vorhanden wäre. Das konnte ich gerade gut leiden … Aber Jérôme war nicht in der Stimmung für solche zweifelhaften Scherze.
    »Sie hatten gestern das Glück, einen alten Bekannten von mir zu sprechen: Robert de Gélieu aus London«, sagte er.
    »Ein recht zweifelhaftes Vergnügen. Dieser bedauernswerte Mensch hatte nicht die blasseste Bildung. Was soll mir ein Esel, der den Staatsmann Perikles und den Feldherrn Perikles für ein und dieselbe Person hält? Ohne genaue Kenntnis der griechischen und römischen Antike ist unser irdisches Treiben nur ein Vegetieren.«
    Mit seinen idealen Griechen und Römern verstand Humboldt keinen Spaß. Ich fragte etwas leichthin, gereizt durch seinen herablassenden Ton:
    »Haben Sie ihm deswegen den Kopf abgeschlagen?«
    Erst Totenstille. Dann fragte Humboldt mit deutlich leiserer Stimme:
    »Was haben Sie da gesagt? Soll das heißen, er sei tot?«
    Ich nickte. Er wusste augenscheinlich nicht, was sich nebenan zugetragen.
    »Er wurde brutal getötet, wahrscheinlich um Mitternacht, als Sie den größten Lärm hörten. Was haben Sie mit ihm besprochen, als er bei Ihnen war? Gab es Anzeichen dafür, dass er etwas Schlimmes befürchtete?«
    »Nein, ganz im Gegenteil. Er war guter Dinge. Ja, er hat auch Sie beide erwähnt. Er freute sich, Sie heute zu treffen. Wir besprachen die antike Kriegstechnik, ein Thema, bei dem er sich wirklich auszukennen schien – der Lapsus mit Perikles ist freilich so schlimm nicht. Die wenigsten wissen, dass es zwei gibt. Er unterschied sich in nichts von all den vielen, die zu mir kommen, bloß um einmal meine Hand geschüttelt zu haben oder meinen Namenszug auf einer kleinen Karte zu erhalten. Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal so tief herabsinken würde – zu einem willenlosen Besuchsgötzen.« Er spielte sich gern auf, das wusste ich wohl, aber vom obersten Organisator in Kultusfragen hätte ich ein bisschen mehr Selbstdisziplin erwartet.
    »Waren Sie die ganze Zeit hier in dieser Wohnung?«, fragte ich und war bemüht, die ganze Verachtung, die mir zu Gebote stand, in meine Stimme zu legen.
    Er zögerte, woran ich sah, dass er lügen wollte.
    »Bitte sagen Sie mir die Wahrheit, ich möchte herausfinden, wer ihn umgebracht und seinen Schädel mit sich genommen hat!«
    »Seinen Schädel mit sich genommen? Heiliger Blumenbach, das solltest du bei mir einmal wagen ...«, erwiderte Humboldt sichtlich erschrocken, fasste sich und sagte: »Wir beschlossen schon recht bald, als uns der Gesprächsstoff ausging, in die Tanz-Rotunde der Madame Bernard zu wechseln, die ja nicht weit entfernt ist. Er war zwar sensibel, doch ich musste ihn nicht groß überreden. Wir haben uns dort vortrefflich unterhalten und auch sonst ... ganz vortrefflich unterhalten!«
    Er machte wieder seinen Zwinkerversuch, doch Jérôme war immun gegen dieses Signal.
    »Von wann bis wann waren Sie dort?«, fragte ich.
    »Von neun bis elf Uhr. Wir kamen gemeinsam zurück, er verschwand in Goedeckes Eingang. Alles weitere wie berichtet: um Mitternacht Lärm.«
    »Bei Madame Bernard also ... Wie viele Gäste waren dort, außer Ihnen beiden?«, fragte ich.
    Humboldt wand sich, das Thema wurde ihm unangenehm, da wir seinen Enthusiasmus nicht teilten.
    »Schwer zu sagen, vielleicht fünfzig? Seit das Haus der Madame ... ehrbar geworden ist, treffen Sie dort in der Nacht die gesamte Oberwelt. Es gibt das Restaurant, die Spieltische, das übrige Obergeschoss, wenn Sie verstehen, was ich meine ...«
    Ich bemühte mich, nicht auf diese Anspielungen zu reagieren, obwohl ich gestehen muss, dass mir die Einzelheiten eines solchen Etablissements reichlich grotesk vorkommen.
    »Besondere darunter? Welche, die sich auffällig benahmen? Ein großer, blauäugiger, breitschultriger Mann etwa, der Sie

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