Das spanische Medaillon
Madame Bernards Tanzbordell bislang noch immer an seinem alten Orte Bestand.
Als ich neben Jérôme in der eiskalten Friedrichstraße vor der Nummer 63 fror und wir beide noch ein bisschen zögerlich waren, was wir tun sollten, wenn uns aufgetan würde, nahm uns ein gnädiger Gott an der Hand. Ein eiliger Gast zog uns mit hinein.
»Freunde der Nacht, wer wird denn vor Venussens reinlich gefegtem Tanztempel erfrieren? Zwei so schmucke, tanzfreudige Jünglinge! Auf, auf, vorwärts und hinein! So wahr ich Konsul Tanzbär heiße!«
Er hieß nicht Konsul Tanzbär – er hieß Carl Friedrich Zelter und wir kannten ihn so gut, wie jeder ihn kannte. Da wir uns leicht kostümiert hatten (ich trug schwarze Hosen, eine rubinrote Weste, ein weißes Rüschenhemd, einen grauen Frack, einen schwarzen Surtout, einen grauen Filzzylinder sowie einen falschen Bart in der Farbe meines rotbraunen Haares, das ich damals sehr kurz trug; Jérôme glich mir bis auf seinen blauen Moiréfrack, die blonde Perücke und den blonden Bart), erkannte er uns hingegen nicht. Kaum hatten wir die Schwelle überschritten, wurden wir von zwei Mohren unserer Mäntel und Hüte beraubt. Madame höchstpersönlich begrüßte uns:
»Die beiden Prunkstücke hat mir der Imperator vermacht, da er mit meinem Haus so zufrieden war! Meine Herren, Sie sind zum ersten Mal bei mir? Alle Annehmlichkeiten des Hauses stehen Ihnen zu Gebote: tanzen, speisen, spielen oder sich die Zeit im Gespräch vertreiben. Ich hoffe, es wird Ihnen gefallen. Falls Sie etwas zu speisen wünschen – hier nebenan im Saal zur Linken wird Ihnen serviert, wofür mein Koch berühmt ist. Es ist nur ein einziges Gericht, dieses aber so gut, wie Sie es nirgends bekommen: Ochsenschwanzsuppe, das Beste von der Wachtel mit Curryreis und Schmorgurke, Schokoladentorte und türkischer Mokka. Falls Sie den Tanz vorziehen: der Saal zur Rechten. Sollten Sie aber eher dem geselligen Spiele zugetan sein, so finden Sie in den oberen Etagen alles, was das Herz begehrt ...«
Zelter übrigens war so schnell verschwunden gewesen, dass wir es gar nicht bemerkten. Die Hausherrin hatte ihn nur mit einem Blick begrüßt.
Nun erschienen – von den Mohren mit untertänigster Aufmerksamkeit bedacht – zwei Offiziere der Garnison, während wir uns langsam ins Innere des Hauses vortasteten. Im Speisesaal saßen und aßen sehr gesittet wohl an die fünfzig Personen beiderlei Geschlechts, darunter einige, die wir kannten.
»Sieh mal, da hinten: Sind das nicht ...«, staunte Jérôme und ich sogleich nicht minder:
»Fürst und Fürstin Radziwiłł!«
Meine Champagner-Botin! Instinktiv schaute ich mich um – sollte am Ende gar das hohe Paar selbst ... Doch da ging meine Fantasie mit mir durch.
»Lass uns einen Blick in den Tanzsaal werfen und dann hinaufgehen«, sagte ich.
Unter einer gewaltigen Leuchtertraube, in einem großen Raum, der durch allseits angebrachte wandhohe Spiegel sich ins Unendliche zu vergrößern schien, walzten wohl an die zehn Paare. Auch hier gab es Bekannte zu bestaunen, die ich nicht dort vermutet hätte, doch ich möchte die Indiskretion nicht zu weit treiben. Da sich niemand für uns Außenstehende interessierte, blieb unser Inkognito gewahrt. Wir stiegen eine gewaltige Schneckenspirale aufwärts und gelangten in eine Art Vestibül mit drei riesigen Billards, die von spielfreudigen Herren umlagert waren. Am ersten lieferten sich gerade zwei sehr ungleiche Gegner, deren einzige Gemeinsamkeit die schwarzen Anzüge zu sein schienen, ein heftiges Duell. »Frisch, fromm, fröhlich, frei!«, schrie der größere von beiden, ein Hüne mit üppigem Bartwuchs, und stieß mit seinem Queue so gewaltig zu, dass die Kugel über die Bande hinausschoss und vor unseren Füßen landete, wo sie Jérôme mit seinem schwarzen Lackschuh stoppte.
»Sportlich, mein guter Jahn! Das wird Sie die Partie kosten!«, sagte sein schlanker und kleiner Gegner, ein vielleicht 25-Jähriger mit blondem Haar und schmalem Kopf, behände in der Drehung, der sofort eine Serie von Kugeln versenkte, die seinem untersetzten und ungelenk wirkenden Gegenüber den Schweiß auf die Stirn treten ließ.
»Saubere Arbeit, Friesen!«, kommentierte ein Dritter, der den beiden zusah, der Jüngste der drei, mehr braun als blond.
»Klöden, Klöden, du wirst dich auch noch umgucken!«, sagte Jahn und kraulte sich seinen krausen Vollbart.
»Was macht eigentlich Plamann so lange bei der schönen Julietta? Ich warte jetzt schon eine
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