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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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eine Empore für die Musiker, die eifrig spielten. Der Grund für ihr eifriges Spiel war wohl, den Lärm der Lust zu übertönen, der aus dem darauffolgenden länglichen und niedrigen Saal drang, in dem eine gewaltige Menge Mannsvolk sich mit einer ebenso riesigen Anzahl aufgehübschter, übertrieben frisierter und bloß in geschmacklos-ordinärer Unterwäsche gekleideter Mädchen lauthals unterhielt. Zu beiden Seiten waren Türen, hinter denen die wildeste Ausgelassenheit und zügellose Unverschämtheit zu hören waren. Der Dielenboden dieses Antichambre war stellenweise glitschig von verschütteten Getränken. Körne, schon reichlich angeheitert, strauchelte mehrfach grundlos und schlug einmal sogar der Länge nach hin, worauf ihn eine der hier draußen um Liebeslohn verhandelnden Damen mit den Worten bedachte:
    »He, Kleiner, wenn du noch nicht laufen kannst, wird’s mit dem Stehen auch nicht weit her sein!«
    Unter den darob lauthals Grölenden sah ich einige unserer vornehmsten Romantiker, doch vielleicht hab ich sie mir auch nur eingebildet: Novalis, Schlegels Fritz, Brentano, Eichendorff und sogar den staubigen Fouqué ...
    Jérôme konnte sich an dieser Stelle ein Lächeln nicht verkneifen, was ich ihm aber nicht übel anrechne; auch mir – ich verhehle es nicht – stand der Anflug eines solchen auf Lippen und Mundwinkeln.
    »Hier drin müsste sie sein!«, lallte der angeschlagene Körne, nachdem er sich mehrmals bei einigen Umstehenden erkundigt und vergewissert hatte. An der Tür war ein goldenes N in einem lorbeerumkränzten Oval angeschlagen. Das war also das berüchtigte Napoleonzimmer im Bernard’schen Haus. Wir waren im innersten Kreis der Hölle angekommen.
    Die Tür ging auf und ein recht zerzaust wirkender, bleicher Mann kam heraus. Hinter ihm konnte ich in den Sekunden, in welchen die Tür offen blieb, nur ein hübsches, wiewohl von Langeweile getötetes Gesicht, zwei schön geschwungene Schultern und zwei beispiellos zarte bare Brüste erkennen. Da war Körne schon hineingeschlüpft und hatte die Tür hinter sich zugezogen. Der Schlüssel ging – und wir hatten das Nachsehen.
    »Der tumbe Körne, möge ihn der Teufel holen!«, zischte der schon leicht Ergraute, den ich auf Ende dreißig schätzte.
    »Sind Sie Plamann?«, forschte Jérôme.
    »Ja und Sie nicht!«, zischte er.
    »Stimmt auffallend!«, entgegnete mein Göttergatte. »An Ihnen ist ein Fichte verloren gegangen! Das Ich setzt sich selbst als beschränkt durch das Nicht-Ich.«
    »Firlefanz. Ich mag ihn nicht, den Ficht’. Was glotzt du mich so dämlich an?«
    Ich hatte wohl ein wenig zu entsetzt auf seine Beinkleider gestarrt, in denen er sich und alles, was an ihm hing oder hervorsprang, ungeniert zurechträkelte. Ich hatte vergessen, dass wir ... Männer ... unter uns waren. Jérôme hielt sich die Hand vor die Augen.
    »Verzeihen Sie, mein Freund ist zum ersten Mal in einem solchen Haus. Soll nicht wieder vorkommen.«
    War Jérôme schon in vielen solchen Häusern gewesen? Hatte er mir diese Seite immer verschwiegen? War er früher, wenn er mit seinem Ballon in einer Stadt niederging, etwa als Erstes ins Bordell gegangen? Meine Gedanken geraten oft auf solche Abwege ...
    »Ein Freund, der Herr von Kapell, verwies uns an Sie, da ich Ihrem Freikorps beitreten will!«
    Jérôme war gut im Improvisieren. Schon nutzte er die Gelegenheit zu einem neuen, ungeplanten Schachzug. Plamann starrte erst mich, dann Jérôme grimmig an und knirschte mit seinen höchst schief stehenden Zähnen:
    »Franzosenspitzel!«
    »Sind wir nicht!«, sagte Jérôme schlicht und kehrte seinen Jackenaufschlag mit dem inwendig angehefteten Schwarzen Adlerorden nach außen.
    Plamann zuckte die Achseln und sagte:
    »Verzeihung, heut’ kann man nicht vorsichtig genug sein. Gerade in gewissen Häusern wie diesem hier – sitzen die Spitzel! Hier erfahren sie am meisten.«
    »Was ist nun mit dem Freicorps?«, hakte Jérôme nach.
    »So weit sind wir noch nicht. Von Kapell hat absurde Vorstellungen. Er will uns die Drecksarbeit machen lassen, selbst den Anführer spielen und die Lorbeeren ernten. Aber so leicht lässt sich Plamann nicht die Butter vom Brot nehmen!«
    »Hatte, mein Herr, hatte!«, sagte Jérôme.
    »Was, hatte?«, fragte Plamann.
    »Er hatte möglicherweise diese Vorstellungen. Denn jetzt ist er tot.«
    »Zur Hölle! Dabei wirkte er noch sehr kräftig, trotz seiner Verwundung ... Was fehlte ihm denn? Wundbrand? Verdammte Geschichte!«
    »Nein. Man

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