Das spanische Medaillon
auch schwierig, nähere Besichtigungen einzurichten. Ich fürchte, ich fürchte ... Ja, da kommt schon der Herr Polizeipräsident!«
Karl Justus Gruner war ein kleiner, spindeldürrer aktiver Mann, eingenäht in eine grüne Uniform mit riesigen goldenen Epauletten. Der hochgestellte rote Kragen ließ seinen schmalen, kohlrübenförmig nach oben breiter werdenden Kopf wie in einem Trichter sitzen. Der Polizeipräsident grüßte mit leger erhobener Hand und nahm seinen Tschako ab, als er an uns vorüberkam. Er trug ihn wie einen zweiten Kopf unterm Arm und verschwand rasch im Hauseingang, von Schlechtendal nach sich ziehend, der berichtend bestrebt war, ihm auf den Fersen zu bleiben.
»Die gleichen Umstände wie in Deetz – absentia capitis mortui! Papiere, die vielleicht militärisch von Belang? Ein Brief an Seine Majestät! Außerdem sind da noch mehrere seltsame pulvergefüllte Röhren an Stöcken ...«
»Bitte mäßigen Sie Ihr Organ«, befahl der kleine Präsident, und da waren sie schon zu weit die Stiege hinauf, als dass noch mehr zu vernehmen gewesen wäre.
»Sag mir, dass ich träume«, bat Jérôme leichenblass, doch ich konnte ihn nur genauso fassungslos anstarren wie er mich. Wir schlossen einander fest in die Arme und hielten still, bis uns die erste Welle des Schwindels und wilden unbarmherzigen Schmerzes überrollt hatte. Alles kreiste im Kopf. Gélieu, Jérômes lang erwarteter Freund – auf die gleiche bestialische Weise ermordet wie von Kapell draußen in Deetz? Vielleicht vom selben Täter umgebracht? Was hatten die beiden gemeinsam? Was suchten und fanden die Kopfräuber bei ihren Mordtaten? Wie wir so dastanden, wurde uns plötzlich erst die ungeheure Kälte bemerklich, die an diesem Morgen herrschte.
Über uns ging ein Fenster auf und ein Gesicht schaute heraus, das uns bekannt vorkam. Allerdings hinderte uns die seltsame Kopfbedeckung – ein Turban aus altem Vorhangstoff? – einen Moment lang, den Träger zu erkennen. Das seltsame Wesen deutete mit drohender Geste zum Nachbarhaus, dann sprach es zu Jérôme und mir:
»In diesem schrecklichen Etablissement geht’s täglich drunter und drüber. Heute Nacht war wieder der Teufel los! Um zwölf Uhr gab es ein furchtbares Getöse. Es klang, als wollte jemand die Wand zu meinem Studierzimmer durchschlagen. Vorher schon: Schreie, lautes Reden, wieder Schreien. Wie soll man da über die Bildungsreform nachdenken?«
Spätestens an diesem Thema erkannten wir Wilhelm von Humboldt.
»Ich hab’ eine harte Prüfung hinter mir!«, sagte er. »Bei so was geht mir die ganze Humanität zum Teufel – kein Auge zugetan später ... Ist Ihnen nicht kalt? Kommen Sie und wärmen Sie sich auf, statt Maulaffen feilzuhalten bei dieser Razzia! Ich muss ohnehin mit Ihnen reden. Die Universität braucht Sie! Tür ist offen!«
Wir waren zu verstört, um die Einladung abzulehnen, auch wenn mir die Humboldts nicht sympathisch waren. Sie führten eine offene Ehe – das hieß, dass jeder von ihnen tun und lassen konnte, was er wollte. Warum waren sie dann überhaupt verheiratet? Wilhelm von Humboldt machte aus seinen Liebschaften keinen Hehl. Glaubte er vielleicht, dass ihn die harte Arbeit an der Bildungsreform dazu berechtigte, die eigene Frau zu betrügen? War das ein griechisches Ideal? Wenn ja, dann konnte mir dieses ganze Neugriechentum gestohlen bleiben! Seine Frau privatisierte mit inzwischen acht Kindern in Rom und lebte ihren Judenhass aus – das war mir eine feine Bagage! Ich mochte den feinsinnigen und femininen Bruder Alexander lieber, der durch die Welt geisterte und seine Naturalien zusammentrug, doch der hatte sich geschworen, zwanzig Jahre in Paris zu leben, mindestens! Die waren leider noch längst nicht um.
Wilhelm von Humboldt trug seinen pelzverbrämten Geheimen Staatsratsmantel und schloss eilig die Tür hinter uns, ging einen langen büchergefüllten Korridor entlang, der in sein geräumiges Arbeitszimmer mündete, wo er uns Sessel anbot und sich am Kaminofen zu schaffen machte. Das Zimmer war ebenfalls zu drei Vierteln mit Büchern tapeziert. An den freien Stellen standen Bücherschränke und Regale voller Antiken, einige größere prangten auf Blumenpostamenten, Flecken voller Bilder an den Wänden, an der weißen Decke ein herrlicher Kronleuchter inmitten eines gemalten Deckenspiegels, auf dem die Geburt der Venus dargestellt war. Auf dem roten Sofa lagen vergessene Frauenunterkleider. Der Schreibtisch stand voller leerer
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