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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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geschlagene halbe Stunde!«, sagte der als Klöden apostrophierte und teilte das Ende seines Ziegenbartes.
    Jünglinge, die ihren Bart schießen lassen, waren mir schon immer ein Graus und ich wollte schon verächtlichen Blickes an der Gruppe vorübereilen, als mir einfiel, dass dies die Gesprächspartner des Herrn von Kapell gewesen waren, am Tag bevor er enthauptet wurde. Die Köpfe des Plamann’schen Instituts! Und hatte ich da eben »Julietta« gehört? Was sollte ich tun – meine Stimme hätte mich sofort verraten, wenn schon mein Haar und meine Statur kein Aufsehen erregten. Da kam mir eine Idee und ich zog Jérôme schnell in eine Ecke, wo die Erzieher uns nicht sehen und hören konnten.
    »Ich stelle mich stumm. Du musst für mich reden. Sag ihnen, dass ich unbedingt diese Julietta sprechen will. Von mir aus gib ihnen auch Geld dafür.«
    Jérôme lachte. Das schien nun ein kleiner Spaß nach seinem Geschmack zu sein, bei dem er vergessen konnte, was ihn bekümmerte.
    »Meine Herren, wir sind fremd hier, und besuchen dieses feine Etablissement auf Zuraten und Empfehlung zweier Freunde«, hob er also an, als wir wieder zu den dreien getreten waren.
    »Wohlgetan, nur frisch herein!«, sprudelte Jahn. »Ihr könnt eine körperliche Ertüchtigung gut gebrauchen! Besonders (auf mich gemünzt) der kleine Rotbraune! Gesundheit des Leibes und der Seele wird euch blühen, Zufriedenheit, die alle Reichtümer aufwiegt, erquickender Schlummer nach des Tages Last ...«
    »... und Lust! Und Lust!«, rief ein Neuankömmling, den sie freudig als Körne! begrüßten.
    Dieser schmalbrüstige Jüngling, dessen Kopf einer schmächtigen Runkelrübe ähnlich sah, trompetete sogleich los:
    In der Wollust heller Brunst
    die teutschen Männer stehen
    verzehrend sich nach Julietts Gunst
    um bei ihr zu vergehen!
    »Wo ist sie?«, fragte Körne stupid in brandendes Gelächter und Klatschen hinein, was Jérôme wieder das Stichwort gab.
    »Julietta? Oh, nach dieser Dame suchen wir ebenfalls! Mein stummer Freund hier vor allem verzehrt sich nach ihr – gestattet ihm den Vortritt: Es soll euer Schaden nicht sein!«
    Die Rohlinge barsten schier vor Lachen.
    »Hohoho!«, dröhnte des klotzköpfigen Jahn dräuender Bass.
    »Seit Nappel bei ihr lag, will sie ein jeder! Schande über euch: Jeder echte teutsche Mann tut des Franzmanns Braut in’ Bann!«
    Die Dreckskerle lachten wie besessen. Die aufschießende Wut ließ mich puterrot werden. Jahn schien es aber mit seinem Franzosenfressertum nicht ganz so streng zu nehmen, denn er setzte nach, zu mir und meiner Röte gewandt:
    »Musst dich nicht schämen, Kleiner! Die Nappel-Dirne ist ihr Geld wert! Ich hab’ sie auch gehabt! Bei ihr gilt der Spruch ja irgendwie nicht, es ist schließlich ihr verdammtes Gewerbe, oder etwa nicht?«
    Ich muss an dieser Stelle daran erinnern, was dieser Aushängegrobian starkdeutscher Geistesschwäche in seinen Turnanleitungen und Bekenntnisbüchern, für die er völlig zu Recht viele Jahre im Gefängnis verbrachte (hätte man ihn doch ewig drin verschmachten lassen!), für barren- und sparrenhafte, splintholztrockene Lebensmaximen verzapfte:
    »Frisch nach dem Rechten streben, fromm das Gute thun, fröhlich die Gaben des Lebens genießen, frei sich halten vom Drange der Leidenschaft, und von des Vorurtheiles Enge.«
    Dieser Heuchler widerte mich genauso an wie Körne, der größte unserer singenden Krieger-Hohlköpfe. Warum hatten diese beiden eklen Figuren ihre Köpfe noch, wo Robert Gélieu ihn verlieren musste? Jérôme ließ nicht locker:
    »Eine Runde Schampus für euch müde Kugelstecher, wenn uns einer dem Ziel unserer Wunschträume näher bringt!«
    Das war das richtige Wort für die Bande. Während Körne uns führte, entfleuchte Klöden mit unserem sauer verdienten Vierteltaler, um das Getränk zu holen. Jahn und Friesen widmeten sich wieder dem Billardspiel.
    »Ach, der dumme Jahn! Ich glaube ihm kein Wort. Wenn den eine sieht, läuft sie davon. Nie und nimmer hat der mit der Juliett, nie und nimmer!«, brabbelte Körne im Gehen vor sich hin und konnte sich eines weiteren Verses nicht enthalten:
    Wie mir deine Freuden winken!
    Nach der Knechtschaft, nach dem Streit!
    Juliett, lass uns versinken
    Du und ich in Zweisamkeit!

10
    Wir traten in einen großen, durch ein doppeltes Geländer abgesonderten Raum, wo lauter kleine Tische standen, an denen mit Karten und Würfeln um Geld gespielt wurde. In der Mitte hing eine Krone mit Lichtern, seitlich war

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